Der Prototyp des Produzenten

Er war Bob Marleys Mentor, und jeder, der Rang und Namen hat im Reggae, ging durch sein Studio. Clement „Sir Coxsone“ Dodd ist tot

Der Mann ist nicht mehr und nicht weniger als die Seele der jamaikanischen Musik des 20. Jahrhunderts. Und ihr Architekt. Mehr als 6.000 Singles sind unter der Regie von Sir Coxsone entstanden, die meisten an einem mythischen Ort mit passendem Namen: Studio One. Ein Studio in Kingston ist – anders als ein Studio in Berlin, London oder L. A. – alles: Kommunikationszentrum, Talentbörse, Meeting-Point, Maklerbüro, Musiklabor, Hangout und, auch das, Aufnahmestudio. Vor den winzigen Studios warten Nachwuchskünstler auf ihre Chance, und wenn man Glück hat, schauen an einem Nachmittag drei, vier der größten Popstars Jamaikas vorbei. Von einem Studiobesitzer ist Multitasking gefordert. Er ist Musiker, Unternehmer, Verkäufer, Vermittler, Agent, Psychologe, DeeJay und vieles mehr. Diese Vielseitigkeit macht einen guten Producer aus, und Sir Coxsone war der Prototyp des Produzenten. Alle gingen sie durch sein Studio: Horace Andy und Marcia Griffths, Dennis Brown und Alton Ellis, die Wailers mit Peter Tosh und Bob Marley, die Skatalites mit Don Drummond und Tommy McCook. Das ist ungefähr so, als hätte ein einziger Mann die Musik der Beatles, Stones, Kinks, Jimi Hendrix’ und Aretha Franklins auf den Weg gebracht. Steinreich und weltberühmt wäre dieser Mann.

Clement „Sir Coxsone“ Dodd, der am Dienstag im Alter von 72 Jahren in Jamaika an einem Herzleiden starb, war nicht weltberühmt. Bis kurz vor seinem Tod stand er in seinem Laden in Brooklyn, New York. Im vergitterten Schaufenster liegen alte Kassettenrekorder und Elektrokrimskrams, drinnen Studio-One-CDs für zehn Dollar das Stück, ein paar Singles, an der Wand Plattencover. Im Hinterzimmer ein amtliches Tonstudio. Coxsones Laden liegt in einer heruntergekommenen Einkaufsstraße mit Trödlern und Elektrogeschäften. Eine der härteren Gegenden dieses Jamaikas auf der Fulton Avenue, das mitten in Brooklyn liegt. Wie viele seiner Landsleute pendelte Sir Coxsone Zeit seines Lebens zwischen Jamaika und den USA: eine postkoloniale Biografie.Wie vielen seiner Landsleute wurde ihm das nuyorikanische Jamaika zur zweiten Heimat, weil in der ersten Heimat kein Auskommen war. Bob Marley jobbte in den 60ern bei Chrysler in Delaware, Coxsone verdiente in den 50ern auf einer Zuckerrohrplantage in Florida sein Geld. Von diesem Geld kaufte er die Platten, die er zu Hause im Restaurant seiner Mutter auflegte, vor allem Rhythm & Blues aus den Staaten. Bald baute er sein Business zu einer mobilen Diskothek aus.

Nachdem diese Soundsystems jahrelang fast nur importierte Platten gespielt hatten, produzierte Coxsone Ende der 50er erste eigene Aufnahmen. Die Musiker, die bis dahin noch nie ein Studio von innen gesehen hatten, lernte er bei Tanzveranstaltungen kennen. „Wir spielten diese Platten zunächst nur mit dem Soundsystem ab und veröffentlichten sie erst Jahre später, als wir merkten, dass sich diese Sachen überhaupt verkaufen ließen.“ Hätte er gewusst, wie sie sich weltweit verkaufen lassen, Coxsone wäre steinreich gestorben. KLAUS WALTER