: „Unerträgliche Täuschung“
Verletzt Kulturministerin Christina Weiss das Kontrollrecht des Bundestages? Der CSU-Abgeordnete Norbert Geis will den Rechnungshof einschalten, um die Kosten für die „Flick-Collection“ bei den Staatlichen Museen zu Berlin überprüfen zu lassen
VON BRIGITTE WERNEBURG
Nun wird sich wohl der Bundesrechnungshof mit der „Flick-Collection“ im Hamburger Bahnhof, dem Berliner Museum für Gegenwartskunst, befassen. Denn der CSU-Bundestagsabgeordnete Norbert Geis sieht sich in seinem parlamentarischen Frage- und Kontrollrecht in gravierender Weise verletzt und will die Haushaltsprüfer einschalten. In einem Brief an Christina Weiss, der der taz vorliegt, spricht er von „unerträglicher Täuschung“. Es sind die „unvollständigen und irreführenden Auskünfte“ der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien, die seinen Unmut erregen. Weiss ist Vorsitzende des Stiftungsrates der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, deren Präsident Klaus-Dieter Lehmann den Leihvertrag mit Friedrich Christian Flick beziehungsweise dessen Firma Contemporary Art Ltd. abgeschlossen hat. Nach Weiss’ Auskünften vom 16. Dezember 2003 an Geis, die der Abgeordnete in seinem Brief zitiert, lagen die Kosten für die „Flick-Collection“ bei sechs Millionen Euro. Nach ihren neuesten Angaben vom 14. April 2004 an ihn errechnet Geis nun eine Summe von knapp 15 Millionen Euro. Allein diese Diskrepanz zusätzlicher Kosten von neun Millionen Euro, die im Laufe von nur vier Monaten zu Tage traten, rechtfertige eine Untersuchung des Bundesrechnungshofes, so Geis.
Die spektakuläre Leihgabe der 2.500 Exponate umfassenden Sammlung von Gegenwartskunst, die Friedrich Christian Flick den Staatlichen Museen zu Berlin über den Zeitraum von sieben Jahren überlassen will, war im November 2003 bekannt gegeben worden. Zu dieser Zeit hatte Klaus-Dieter Lehmann geschwärmt, die Sammlung passe wunderbar nach Berlin und koste sein Haus keinen Pfennig. Das war ein Argument, denn die Flick-Collection ist nicht unumstritten. Flick ist der Enkel und Erbe von Hitlers größtem Waffenlieferanten.
Als eklatantes Beispiel für die „Verletzung der Auskunftspflicht gegenüber einem anfragenden Abgeordneten“ wertet Norbert Geis in seinem Schreiben nun die Aussage der Ministerin, die Kosten für die Eröffnungsausstellung der Sammlung hätten ihm verschwiegen werden dürfen, da es sich hierbei um keine der Sammlung Flick zuzuordnenden Kosten handle. Dem widerspreche nun, schreibt Geis, dass es genügend Posten gebe, die allein der Präsentation der Sammlung Flick zuzurechnen seien. So verlange der Aufbau der Großinstallationen von Jason Rhodes, Paul McCarthy oder Bruce Naumann – Glanzpunkte dieser Sammlung – die wochenlange Arbeit mit den Künstlern selbst und deren Assistenten. 144.000 Euro für Hotel, Reisen und Honorare wurden dafür von Weiss eingeplant. Hinzu kämen, schreibt Geis, besondere technische Geräte, die für die Präsentation benötigt würden. Das gehe vom Video-Beamer bis eigens anzuschaffenden Hubgeräten. Weitere Kosten, die die Ministerin gar nicht erst aufführe, beträfen die umfangreiche Zwischenlagerung der jeweils nicht ausgestellten Objekte der Sammlung. Denn auf besonderen Wunsch Friedrich Christian Flicks wird die gesamte Sammlung auf einmal von Zürich nach Berlin geholt. Die Staatlichen Museen haben sich daher, worauf Geis verweist, beim Bundesvermögensamt Lagerflächen und Depots in Berlin-Friedenau gesichert, deren Herrichtung und Miete zu weiteren Kosten führen. Da die Depots, kann man anfügen, nach offiziellem Sprachgebrauch der Stiftung Preußischer Kulturbesitz auch anderen Museen der Stiftung zur Verfügung stehen, glaubt sie diese Kosten nicht auf das Konto der Flick-Sammlung buchen zu müssen. Flick freilich soll seine Lagerkapazitäten in Zürich bereits zum großen Teil gekündigt haben.
Für Irritation bei Norbert Geis sorgt weiter der Vermerk im Protokoll einer Baubesprechung vom 27. Februar dieses Jahres, wo, wie er in seinem Brief ausführt, notiert sei, dass die Kosten für die Verbindung zwischen der von Flick ausgebauten Rieckhalle und dem Gebäude des Hamburger Bahnhofs auf maximal eine Million Euro begrenzt werden müssen – „wegen Anfragen von Bundestagsabgeordneten“, womit nur er gemeint sein könne. Bis heute seien die Kosten für diese Verbindung nicht eigens festgestellt. Es könne nicht der Ordnungsmäßigkeit behördlichen Handels entsprechen, so Geis, wenn nur mit Blick auf als lästig empfundene Anfragen eines Abgeordneten die Kosten eines umstrittenen Bauprojekts sachwidrig behandelt würden.
Auch dass die Stiftung Preußischer Kulturbesitz die Vermögensverhältnisse der Contemporary Art Ltd. auf Guernsey nicht überprüft habe, bevor sie mit der Firma den Leihvertrag unterzeichnete, betrachtet der CSU-Bundestagsabgeordnete als Verstoß gegen die kaufmännische Sorgfaltspflicht der Öffentlichen Hand. Die Stiftung rechtfertige ihre Unterlassung zwar damit, dass Flick bei Nichterfüllung des Vertrages zu Schadensersatz verpflichtet sei. Doch Flick sei, sagt Geis, persönlich nicht Vertragspartner und damit nicht haftbar. Seine Gesellschaft sei auf einer Insel „mit notorisch schwieriger Gerichtsbarkeit“ ansässig und im Zweifelsfall gar nicht zu belangen. Darüber hinaus bemerkt Geis zu Recht, dass das Museum seine Ausstellung nicht mit einer Schadensersatzforderung bestücken könne, sondern nur mit Kunstwerken.
Kunstwerken, von denen Geis zufolge niemand so recht zu wissen scheint, wem sie eigentlich gehören. Selbst auf die Frage nach den anderen Eigentümern oder Geldgebern der Contemporary Art Ltd. habe er keine Antwort erhalten. Allerdings ergebe sich aus den Angaben von Frau Weiss, dass ein Teil der öffentlich angekündigten „Flick-Collection“ in Wahrheit gar nicht Bestandteil des Leihvertrages sei. Es gehe um die Exponate der so genannten „Familiensammlung“, die – anders als die übrigen Arbeiten – allein von der Flick-Familie und nicht von Dritten finanziert sein sollen. Müssen Arbeiten aus dieser Sammlung in Berlin gezeigt werden, um den jeweiligen Sammlungsblock adäquat zu präsentieren, seien Weiss zufolge neuerliche Leihverträge fällig. Geis fragt nun, wer denn in diesem Falle Vertragspartner sei und wer die anderen Eigentümer aus der Familie.
Interessant sind auch die Mutmaßungen, die Norbert Geis anstellt, warum ihm Christina Weiss nur mangelhaft Auskunft geben kann oder mag. Geis fragt, ob etwa das Kanzleramt selbst trotz der von der Stiftung übermittelten vollständigen Zahlen die wahren Angaben zurückhalte. Und er mutmaßt in dem Brief: „Offenbar soll dadurch der Kanzler aus der Schusslinie genommen werden.“ Tatsächlich kann man sich die Frage stellen, ob eine Staatsministerin oder der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz sich tatsächlich wegen des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Klaus Wowereit, in eine zunehmend unhaltbare Positionen begeben. Zwar rühmt sich Wowereit den Deal mit Flick eingefädelt zu haben, doch die Fäden könnten anderswo gezogen worden sein. Flicks Finanzberater Eberhard von Koerber, früher stellvertretender BDI-Chef, ist ein enger Vertrauter von Bundeskanzler Gerhard Schröder.