: Provincetown
America the Beautiful
Provincetown wird zwar oft als schwullesbisches Disneyland belächelt, ist aber im Gegenteil die Geburtsstätte des amerikanischen Offbroadwaytheaters: 1916 wurden hier die „Provincetown Players“ begründet. Später wohnten und arbeiteten hier Edward Albee („Who’s afraid of Virginia Woolf“) und Tennessee Williams („A Streetcar Named Desire“). Ein Wallfahrtsort für allein stehende EnglischlehrerInnen aller Länder!
Bereits um 1900 hatten sich am Ende der malerischen Landzunge von Cape Cod, zweieinhalb Stunden entfernt von Boston, KünstlerInnen und Bohemiens angesiedelt; seit 1915 kamen verstärkt Schwule und Lesben, beziehungsweise maiden ladies nach Provincetown. Nach dem Zweiten Weltkrieg schwoll die schwullesbische Population unaufhaltsam an. In den Fünfzigern wurde die erste lesbische Bar eröffnet („Ace of Spades“), in den Siebzigern trieben die „Woman Inkeepers“ ihr couragiertes Unwesen, acht lesbische Frauen, die immer mehr Lesben in das Dorf holten.
Seitdem hat sich Provincetown verstärkt zu einem Ort mit female spirit entwickelt. Kein Wunder, hatte doch Katharina Lee Bates (1859–1929) hier am Ort der Ankunft der Pilger die entscheidende Eingebung für ihr patriotisches Gedicht „America the Beautiful“, das später vertont (allerdings von einem Kerl namens Samuel A. Ward) zur heimlichen amerikanischen Nationalhymne wurde: „America! America! God shed His grace on the“. Katharina, Professorin für englische Literatur, hätte sich selbst zwar noch nicht als Lesbe bezeichnet, hatte aber eine „romantische Freundschaft“ mit Katharine Coman, die über 25 Jahre dauerte (eine so genannte „Boston Marriage“).
Bei den Provincetown Players spielte auch Edna St. Vincent Millay (1892–1950), die erste Frau, die jemals einen Pulitzerpreis für Lyrik gewann. Stets in fließendes Chiffon gehüllt, kämpfte Millay für die Rechte der Frauen, denen sie auch sexuell nicht abgeneigt war. Von ihr stammen die berühmten Worte: „My candle burns at both ends; it shall not last the night.“ In die Kunstgeschichte eingegangen ist der Provincetownprint, eine vom Kubismus beeinflusste Holzdrucktechnik. Zu den Protagonistinnen gehörten Maud Hunt Squire und deren Freundin Ethel Mars, die mit Gertrude Stein nicht nur befreundet waren, sondern diese auch zu ihrer Novelle „Miss Furr und Miss Skeene“ inspirierten. Ethel Mars brachte aus Europa die Idee nach Provincetown, Pariser Cafés und Straßenszenen statt der üblichen Blumen motivisch aufzugreifen. Was allerdings nicht verhinderte, dass eine Petunie nach ihr benannt wurde. MARTIN REICHERT