San Francisco, total

Die Gay Community lebt!

Diese Stadt verdient das Prädikat, die schwullesbische Kapitale der Welt zu sein: weil hier die viel beschworene Community zwischen allen queeren Menschen wirklich funktioniert. Der gemeinsame Kampf um Anerkennung und gegen Aids hat die Frauen und Männer zusammengeschweißt. Viele Lesben nahmen den Platz verstorbener Schwuler ein, kümmerten sich um Betroffene und engagierten sich in der Szene.

Heute sind Lesben in San Francisco so sichtbar wie an keinem anderen Ort der Welt. Vielleicht auch, weil hier bereits 1933 die erste lesbische Bar ihre Pforten öffnete, das Mona’s am Fuße des Telegraph Hill, unweit der berüchtigten Barbary Coast (bereits zu Goldrauschzeiten ein Ort der männliche Prostitution).

Als Erweckungserlebnis des schwullesbischen Paradieses gilt jedoch der Zweite Weltkrieg. San Francisco war der Hauptpazifikhafen der US-Army, viele ihrer Angehörigen hatten während des Krieges sexuelle Erfahrungen mit dem eigenen Geschlecht gemacht. Sehr viele von ihnen hatten keine Lust mehr, in Friedenszeiten wieder nach Iowa oder Kansas zurückzukehren: Sie blieben.

Mitte der Fünfziger versammelten sich die Autoren der Beatgeneration in San Francisco: der bisexuelle Jack Kerouac („On The Road“) und die schwulen Poeten Robert Duncan, Jack Spicer und Allen Ginsberg, dessen Gedicht „Howl“ 1957 sogar zum Gegenstand eines Gerichtsverfahrens wurde. Man warf ihm unter anderem vor, San Francisco zum „Hauptquartier der organisierten Homosexuellen Amerikas machen zu wollen“. Das war zwar nicht sein Plan, aber wenn es ihn gegeben hätte, so dürfte er als erfüllt gelten.

Die hedonistischen, antibürgerlichen Ideen der Beatgeneration, die Propagierung einer freien Sexualität jenseits gesellschaftlicher Konventionen trugen in den Sechzigern reiche Früchte. In San Francisco entstand eine Art subkulturelle Ursuppe, die schließlich die westliche Welt überfluten sollte. In der Stadt bildete sich jene intensive Infrastruktur heraus, für die das Castro-Viertel steht (heute auch Polk Street und South of Market). In die Geschichte eingegangen ist die Ermordung von Harvey Milk im Jahre 1977. Er war der erste offen schwule Stadtrat von San Francisco.

Die Transformation der Stadt zum schwullesbischen Jerusalem – dem Ort der Sehnsucht schlechthin – inklusive ihrer traurigen Rolle als „Ground Zero der Aids-Epidemie“ (San Francisco Chronicle) ist nachzulesen in den so unterhaltsamen wie glamourösen „Tales Of The City“ von Armistead Maupin. Für Kenner: Der Autor schwört: Michael Mouse lebt!    MARTIN REICHERT