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Archiv-Artikel

„Das ist deine Gnadenkugel“

Der 56-jährige Iraker Sami al-Rawi wurde fünf Tage von US-Truppen festgehalten und gefoltert. Er hat überlebt. Von dreien seiner Söhne fehlt jede Spur

AUS BAGDAD INGA ROGG

„Du bist ein Killer“, blafften die amerikanischen Soldaten Sami al-Rawi an. Dann stülpten sie ihm eine Kapuze über, legten ihm Plastikhandschellen an, verfrachteten ihn in ein Armeefahrzeug und transportierten ihn ab. Warum er festgenommen wurde, erfuhr der 56-jährige Stammesscheich und Geschäftsmann auch in den nächsten Tagen nicht. Drei Tage lang sei er mit Fesseln und der Kapuze auf dem Kopf in einer Zelle von etwa ein mal zwei Meter gefangenen gehalten worden, berichtet er. Nur zum Essen und während der Verhöre hätten die Wachen ihm die Kapuze abgenommen. Zwei Monate später sind noch immer die Druckstellen der Fesseln an seinen Handgelenken zu sehen.

„Kriege hatten wir genug“

„Sie haben mich immer wieder gefragt, wo ich die Waffen versteckt habe“, sagt al-Rawi. „Aber ich habe keine Waffen, ich habe auch den Widerstand nicht unterstützt.“ Manchmal habe er zwei Stunden mit erhobenen Händen stehen müssen. „An einem anderen Tag musste ich stundenlang auf dem Boden knien.“ Auf die Frage, warum man ihn festhalte, bekam er immer wieder die gleiche Antwort: „Du bist ein Killer. Deine Leute bringen unsere Soldaten um.“

In dem Westbagdader Stadtteil, in dem der Scheich wohnt, gibt es immer wieder Anschläge auf amerikanische Soldaten. Doch al-Rawi ist kein Freund der Untergrundkämpfer. Im Gegenteil. „Ich war froh, als Saddam gestürzt wurde“, sagt er. Der ehemalige General hatte 13 Monate in einem Kerker Saddams verbracht. Wegen Präsidentenbeleidigung war er 1989 zum Tode verurteilt worden, kam aber ein Jahr später nach dem Einmarsch in Kuwait im Rahmen einer Generalamnestie frei. Nach seiner Verhaftung war er aus dem Armeedienst entlassen worden. Heute betreibt al-Rawi ein Bauunternehmen. „Ich will einen Beitrag zum Wiederaufbau unsers Landes leisten“, sagt er. „Kriege hatten wir genug.“ Im Oktober kontaktierte er die Besatzungsbehörde und bot seine Mitarbeit an. Ein Schriftstück belegt das Treffen. Vermutlich war es dieses Papier, das dem Geschäftsmann weitere Folter ersparte. Nach fünf Tagen Haft auf dem Bagdader Flughafen wurde er zusammen mit einem seiner Söhne und einem Schwiegersohn freigelassen.

Drei weitere Söhne, die bei der Razzia vor zwei Monaten in den frühen Morgenstunden ebenfalls festgenommen wurden, sind jedoch immer noch in Haft. Sie wurden mittlerweile nach Abu Ghraib verlegt. Aus dem während der Saddam-Herrschaft berüchtigten Gefängnis stammten die vor wenigen Tagen veröffentlichten Bilder von den Folterungen und Misshandlungen von Gefangenen durch amerikanische Soldaten und Soldatinnen.

Unbestätigte Häftlingszahlen

Beim irakischen Menschenrechtsverein geht man davon aus, dass nur ein Bruchteil der tatsächlichen Foltervorwürfe an die Öffentlichkeit gelangt. Der Vorsitzende Mohammed al-Musawi berichtet, seine Organisation habe zahlreiche Fälle ehemaliger Häftlinge dokumentiert. Die irakischen Zeitungen haben die jetzt öffentlich gewordenen Fotos bislang nicht gezeigt, wohl aus Rücksicht auf das Ehrempfinden der abgebildeten Männer. Seiner Organisation sei mindestens ein Fall von Scheinexekution bekannt, sagt al-Musawi. „Das ist deine Gnadenkugel“, hätten die Wächter zu einem am Flughafen internierten Gefangenen gesagt. Dann hätten sie mit einer Gaspistole geschossen. Überprüfen lassen sich die Berichte nicht.

Inzwischen hat man auch beim Pentagon Versäumnisse bei der Aufsicht des Gefängnispersonals eingeräumt und 25 Spezialisten für Trainingskurse in den Irak geschickt. Der Vertrag mit der privaten Sicherheitsfirma, die an den Verhören beteiligt war, wurde aber nicht gekündigt. Von den Amerikanern werden im Irak 16 Gefängnisse betrieben, in denen mindestens 2.500 Häftlinge festgehalten werden. Das irakische Menschenrechtsministerium legte der Koalition im Januar eine Liste mit 7.000 Namen vor. Etliche befinden sich seit Monaten in Haft, ohne dass gegen sie Anklage erhoben wurde. Darunter befinden sich auch islamistische Militante aus dem Ausland. Wie viele es sind und was ihnen genau zur Last gelegt wird, weiß niemand. Mehrfache Nachfragen der taz wurden nicht beantwortet. Aus Sicherheitsgründen werde in diesen Fällen grundsätzlich keine Auskunft erteilt, heißt es immer wieder.

Berichte von Gefangenen und Menschenrechtlern legen nahe, dass die Gefängnisse weniger der Bestrafung von Kriminellen dienen als dem Sammeln sicherheitsrelevanter Informationen. Neben körperlicher Gewalt und Demütigung gehörten auch Schlafentzug und Einzelhaft zu den Methoden, sagt al-Musawi. Laut dem im Sommer von der Koalitionsbehörde eingeführten Strafgesetz stehen Gefangenen alle Rechte zu, die auch in demokratischen Ländern gelten. Nach wie vor wird ihnen aber ein Rechtsbeistand ihrer Wahl verweigert.

Gestern wurden 300 in Abu Ghraib Inhaftierte freigelassen. Diese Geste des guten Willens habe er mit den Amerikanern ausgehandelt, sagt Scheich Husham al-Duleimi, der Vorsitzender der „Bewegung der Stämme im Irak“ ist. Vielleicht sind auch die Söhne seines Freundes al-Rawi dabei.