: Ein weiterer Schritt in Richtung EU
Türkisches Parlament beschließt weitere Reformgesetze. Privatmedien dürfen künftig auch in Kurdisch schreiben oder senden, die Anwendung des Antiterrorgesetzes wird eingeschränkt. Demnächst soll auch die Macht des Militärs begrenzt werden
aus Istanbul JÜRGEN GOTTSCHLICH
Rechtzeitig zum EU-Gipfel in Thessaloniki hat das türkische Parlament am Donnerstagabend ein weiteres Paket von Reformgesetzen verabschiedet, mit dem das Land näher an die EU herangeführt werden soll. Die beiden wichtigsten Änderungen sind, dass zukünftig auch Privatmedien in kurdischer Sprache senden beziehungsweise drucken dürfen und dass das Antiterrorgesetz auf schwere Gewaltdelikte eingegrenzt wird.
Gegen beide Vorhaben hatten im Vorfeld hohe Militärs vergeblich protestiert. Mit ihrer absoluten Mehrheit im Parlament setzte die Regierung ihr Gestzespaket mit wenigen unwesentlichen Abänderungen durch. In den zuständigen Parlamentsgremien wird bereits jetzt über ein weiteres EU-Anpassungspaket diskutiert, in dem dann die Macht der Militärs auch institutionell eingeschränkt werden soll. Im Gespräch ist, die Befugnisse des Nationalen Sicherheitsrates auf Außen- und Sicherheitspolitik zu begrenzen und einen Zivilisten als Generalsekretär des Sicherheitsrates einzusetzen.
So wichtig die konsequente Reformarbeit der türkischen Regierung auch ist, entscheidend wird nun sein, wie die neuen Gesetze sich in der Realität auswirken. Während die Reform der Antiterrorgesetzgebung zukünftig auch den eifrigsten Staatsanwälten die Hände binden wird, ist die gesellschaftliche Anerkennung einer eigenständigen kurdischen Kultur ungleich schwieriger zu erreichen. Eine jahrzehntelang auf die Leugnung einer kurdischen Identität getrimmte Bürokratie ist nicht auf Knopfdruck umzustellen.
So kämpft die Leitung des staatlichen Fernsehens TRT seit Monaten vor Gerichten dagegen, dass sie Sendungen in kurdischer Sprache ausstrahlen muss, wie es eine Reform 2002 vorsah. Auch die Durchführung von kurdischem Sprachunterricht wurde durch Ausführungsbestimmungen so erschwert, dass er bislang kaum stattfindet.
Vor allem der Sicherheitsapparat ist ein großes Problem für die AKP-Regierung unter Tayyip Erdogan. So berichtete kürzlich ein weibliches Vorstandsmitglied der prokurdischen Partei Dehap, die zur Zeit eine Kampagne für eine Generalamnestie kurdischer Guerillakämpfer durchführt, sie sei auf dem Weg von ihrer Wohnung zur Parteizentrale von vier Unbekannten entführt und vergewaltigt worden. Die Männer hätten Passanten gegenüber behauptet, sie seien Polizisten. Für die Dehap ein klarer Beleg, dass ein Teil des Staatsapparates weiter gegen sie arbeitet und versucht, die aktiven Parteimitglieder einzuschüchtern.
An der Spitze des Apparates, in der Auseinandersetzung mit dem Generalstab, haben Erdogan und sein Außenminister Abdullah Gül mit dem jetzt verabschiedeten Reformpaket aber einen wichtigen Sieg errungen. Erstmals hat die Regierung eine klare Erklärung der Militärs als das behandelt, was es offiziell auch sein soll: eine Empfehlung, die man auch ignorieren kann.