Eine Affäre in Stichworten

Von Staatsanwaltschaft bis Presse: Wie sich die Akteure im Fall des verdächtigten TV-Moderators Michel Friedman winden

von RALPH BOLLMANN

Die Staatsanwälte. Am Donnerstag hat die Berliner Staatsanwaltschaft die Notbremse gezogen: Sie könne „derzeit keine weiteren Einzelheiten“ zum Verfahren gegen Friedman mitteilen, um nicht „weitere Spekulationen zum über den Ausgang des Verfahrens“ zu nähren. Fragt sich, warum die Berliner Staatsanwälte nicht schon früher auf diese Idee kamen, sondern sich zunächst in ungewohnter Gesprächigkeit über „szenetypische Päckchen“ verbreiteten, und das unmittelbar nach dem Tod des FDP-Politikers Jürgen W. Möllemann – obwohl die Ermittlungen schon lange liefen. Spekulationen, wonach die FDP-Nähe einiger Berliner Strafverfolger den Ermittlungseifer beflügelte, erscheinen nach einem Bericht des Berliner Tagesspiegel allerdings wenig plausibel. Das Blatt nennt die Namen der drei Staatsanwälte, die gegen Friedman ermitteln – und die haben, soweit bekannt, mit der FDP nichts zu tun.

Der Beschuldigte. Seit zehn Tagen ist der Talkmaster, CDU-Politiker und Zentralratsvize Michel Friedman in einer ganz ungewohnten Rolle zu erleben. Er schweigt. „Sie werden verstehen, dass ich mich jetzt noch nicht dazu äußern kann“: Das sei der Satz gewesen, bemerkte der Spiegel höhnisch, den Friedman von seinen Talkgästen am wenigsten hören wollte. Aber in seiner Sendung fragt Friedman nicht nach Drogen oder Prostituierten. Und wer nichts sagt, kann sich auch nicht in Widersprüche verstricken. Zumindest gelogen hat er also nicht – und ist damit wenigstens teilweise der Maxime treu geblieben, die er im NDR-Magazin „Zapp“ ausgab: „Der beste Trick ist die Wahrheit.“

Die Fernsehzuschauer. Sie haben Friedmans Sendung offenbar missverstanden. Wer sich als Moralist aufspiele, so lautet das populäre Argument, der müsse sich an dieser Moral auch messen lassen. Doch Friedman tut in seiner Sendung nur, was die Pflicht eines jeden Interviewers ist – forsch zu fragen und Geschwafel abzuschneiden. Es ist ein Spiel, und Friedman beherrscht es virtuos. Mit Moralismus hat das nichts zu tun, und mit Friedmans Lebensführung auch nicht. Die Debatte erinnert an den Fall des Radiomoderators Lutz Bertram, der seine Sendung Anfang 1995 wegen früherer Stasi-Mitarbeit aufgeben musste. Auch ihm wurde vorgehalten: Wer bei anderen so aggressiv nachfrage, der müsse auch selbst eine weiße Weste haben.

Der Anwalt. Eckhart Hild hat gegen Hausdurchsuchung und Haarprobe Beschwerde erhoben. Die Informationspolitik der Staatsanwaltschaft komme einer „öffentlichen Hinrichtung“ seines Mandanten gleich, so Hild. „Da wird im laufenden Verfahren alles rausposaunt. Das halte ich nicht für zulässig.“ Die Staatsanwaltschaft reagierte prompt – und verhängte am Donnerstag eine Informationssperre. Und auch der Berliner Justizsenatorin Karin Schubert (SPD) fiel dann plötzlich auf: „Die Vorverurteilung in der Öffentlichkeit macht es fast unmöglich, das Verfahren seriös durchzuführen.“

Die Jüdische Gemeinde. Offiziell äußert sich der Zentralrat der Juden ganz ähnlich wie Politiker und Parteien. Es gebe keine Erkenntnisse, so der Vorsitzende Paul Spiegel gleich zu Beginn der Debatte, dass sein Vize Friedman „bei der Ausübung seines Amtes Fehler gemacht hat“. Jenseits amtlicher Stellungnahmen wird der Fall freilich auch in den Gemeinden kontrovers diskutiert. So sagte der Frankfurter Gemeindevorsitzende Salomon Korn der Berliner Zeitung, vor allem die ganz Jungen und die ganz Alten stünden hinter Friedman. Die Jungen, weil sie ihn einfach cool fänden; die Alten, weil sie in ihm einen kämpferischen Juden sähen, „der dem Bild des geduckten Juden widerspricht“. Wenn Friedman kritisch gesehen werde, dann vor allem von Vertretern der mittleren Generation.

Die Politiker. Auch andere Prominente sollen angeblich die Dienste des Callgirlrings in Anspruch genommen haben, der die Drogenermittlung gegen Friedman auslöste. Nach einem Bericht der Berliner Zeitung soll ein „hochrangiges Vorstandsmitglied einer deutschen Partei“ darunter sein. Sind die meisten Politiker in ihren Äußerungen deshalb so vorsichtig? Wohl nicht nur. Schon vor den neuen Spekulationen versuchten sie, sich möglichst nicht auf Schuld oder Unschuld festlegen zu lassen. „Keine Vorverurteilung“ lautet das Statement unisono. CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer sieht für seine Partei derzeit keinen Handlungsbedarf. Wie auch: Ein hochrangiges Parteiamt bekleidet Friedman ohnehin nicht mehr, seit er 1996 bei der Wiederwahl in den Bundesvorstand scheiterte.

Die Freunde. „Einflussreiche TV-Größen“, meldete gestern die Bild-Zeitung, hätten sich jetzt hinter Friedman gestellt. Freilich waren es vor allem Persönlichkeiten mit der Funktionsbezeichnung „Ex“, die sich dem Boulevardblatt als Zeugen zur Verfügung stellten: Sachsens Ex-Innenminister Heinz Eggert, Ex-SPD-Geschäftsführer Peter Glotz, Ex-Moderator Franz Alt, Ex-Korrespondent Peter Scholl-Latour, Ex-RTL-Chef Helmut Thoma. Aktive Politiker zogen es vor zu schweigen – siehe oben. Zu Friedmans Verteidigern zählt dagegen Aufbau-Verleger Bernd Lunkewitz. Er wirft den Staatsanwälten vor, „Friedman fertig zu machen“. (siehe unten)

Die Presse. Berichte aus dem Privatleben von Politikern waren für die deutsche Presse bislang tabu. Besuche im Bordell oder privater Drogenkonsum wurden nicht thematisiert, selbst dann nicht, wenn beispielsweise der Alkoholismus schon für Außenstehende erkennbar war. Voyeurismus wurde nur geduldet, wenn sich ein Bezug zur Amtsführung herstellen ließ. Wenn beispielsweise dem früheren Saarbrücker Oberbürgermeister Oskar Lafontaine vorgeworfen wird, er habe im Rotlichtmilieu vor Polizeirazzien gewarnt. Oder wenn ein Trainer kokst, obwohl sein Verband „Keine Macht den Drogen“ propagiert – wobei die Regeln im Sport- und Gesellschaftsjournalismus ohnehin freizügiger sind. Anders liegt der Fall auch dann, wenn es um strafbares Verhalten geht – was die ersten Erklärungen der Staatsanwaltschaft bei Friedman nahe legten.