: Zurück im Frühkapitalismus
Auf Baustellenbesuch mit der Gewerkschaft: Die Suche nach Schwarzarbeit und Lohndumping ist ein mühsames Geschäft
von KAI VON APPEN
Die Frühstückspause wird unterbrochen. Trotzdem gibt es kein Murren, als Olaf Schulze und Sigi Kühnel an diesem Morgen mit ihren knallroten Gewerkschaftsjacken unangemeldet den Baucontainer der niedersächsischen Baufirma an der Hammer Landstraße in Hamburg aufsuchen und über ihr Anliegen informieren. Die Brötchendosen werden zugemacht und die BILD beiseite gelegt.
Die beiden Männer von der Gewerkschaft Bau, Agrar, Umwelt (IG BAU) kontrollieren, ob auf den Baustellen Mitarbeiter illegal beschäftigt und mit Lohndumping gedrückt werden. Was die Gewerkschafter suchen, haben die Jungs von der Baustelle alle schon oft erlebt. „Wie wollt ihr das durchsetzen, die machen doch sowieso, was sie wollen“, sagt einer im klassischen Arbeiter-Duktus, ein anderer ergänzt: „Wenn du aufmuckst, bist du weg vom Fenster.“ Und ein Dritter: „Die Jüngeren bekommen doch nur noch Zeitverträge. Der Druck liegt doch ständig auf den Leuten.“ Habe es früher noch Schlechtwettergeld gegeben, um über den Winter zu kommen, sei heute spätestens Weihnachten die Kündigung für die Saison im Haus. Einer frotzelt: „Zumindest können sie unsere Baustelle nicht nach Rumänien verlagern.“ Die Stimmung auf dem Bau war schon mal besser.
Schulze und Kühnel gehören zur so genannten Task Force der Hamburger IG Bau, die sich im Rahmen der bundesweiten Kampagne der Gewerkschaft, „Ohne Regeln geht es nicht“, den Kampf gegen illegale Beschäftigung vorgeknöpft haben – um noch Schlimmeres zu verhüten. Denn das Hamburger Baugewerbe befindet sich in der schwersten Krise der Nachkriegsgeschichte. 33 Prozent aller Hamburger Bauarbeiter sind arbeitslos, und Kühnel sagt: „Die noch Arbeit haben, spüren täglich den Druck, vor Pleiten vor die Tür gesetzt zu werden.“
Schuld daran sind aus Sicht der Gewerkschafter Unternehmer, die Arbeitskräfte zu Minilöhnen beschäftigen oder auch nicht davor zurückschrecken, von internationalen Menschenhändlerringen eingeschleuste Billiglohnarbeiter aus dem Osten und Süden einzusetzen. Dabei gibt es längst gesetzlich in der Branche festgeschriebene Mindestlöhne: 12,47 Euro für einen Facharbeiter, 10,36 Euro für eine Hilfskraft schreibt das Gesetz als Mindestmarge vor.
Bei den Baustellenkontrollen der IG BAU-Task Force sind Verstöße nicht immer leicht aufzudecken. „Bei den Ausländern gibt es oft zwei Abrechnungen, eine offizielle oder eine tatsächliche“, berichtet Schulze. Selbst scheinbar seriöse Bauherren sind schon ertappt worden. So kam heraus, dass beim Prestigebau des Berliner Bogens in der Hamburger City von Subunternehmen Bulgaren für 1,50 Euro Stundenlöhne eingesetzt worden waren. „Wir haben gar nichts gegen die ausländischen Kollegen. Die müssen ja auch Familien ernähren, sie sind uns willkommen, aber sie sollen den ihnen zustehenden Lohn bekommen“, verteidigt Kühnel die Kampagne.
„Das mutige Auftreten gegen Lohndumping ist daher auch keine Denunziation. Am schlimmsten trifft es doch diejenigen, die unsere Sprache gar nicht verstehen. Und Nutznießer sind nur kriminelle Unternehmer.“ Der Fall „Berliner Bogen“ war tatsächlich nur deshalb aufgeflogen, da die ausgebeuteten Bulgaren bei der IG BAU Hilfe suchten und die Missstände öffentlich machten.
Auch auf der Baustelle an der Hammer Landstraße bringt eine kurze Nachfrage im Baucontainer, ob denn das tariflich vereinbarte 13. Monatsgehalt gezahlt werde, ein einmütiges „Nööö“. Die Task Force-Leute versuchen zu überzeugen. „Wir haben vor zwei Jahren gestreikt, weil die Bauuternehmer alles an die Wand fahren wollten“, sagt Schulze. „Man hat uns das nicht zugetraut, dass wir das abwenden können. Doch wir haben ein hervorragendes Ergebnis erkämpft. Jetzt allerdings müssen wir diese Tarifverträge auch umsetzen.“
Immer mehr Baunternehmen versuchen mittlerweile, durch „freiwilligen“ Verzicht der Beschäftigten auf zustehende Lohn- und Sozialleistungen wettbewerbsfähig zu bleiben. Und die Konkurrenz droht nicht nur aus dem Ausland. So drängen viele Unternehmen aus dem benachbarten Mecklenburg-Vorpommern auf den Hamburger Markt, da sie billiger anbieten und ihren Leuten nur geringere Ostlöhne von 9,65 Euro pro Stunde zahlen. Kühnel schimpft: „Die arbeiten hier für Ostlöhne, und oft werden ihnen nicht einmal die Fahrtkosten erstattet.“
Daher ermahnen die Gewerkschafter die Arbeiter zur Wachsamkeit. Eine beliebte Sparmaßnahme sei auch, heimlich die Zahlungen an die Sozialkasse der Bauwirtschaft einzustellen: „Wenn ihr später in Rente geht, merkt Ihr das, dann bekommt ihr dann nur den Sozialhilfesatz.“
Inzwischen hat sich auf der Baustelle herumgesprochen, dass die Task Force auf dem Gelände ist. Der Polier der zweiten am Bau eingesetzten Firma ruft herüber. „Ihr kommt doch hoffentlich auch noch zu uns.“ In dem Betrieb wird zwar auch täglich ein Stunde „umsonst“ gearbeitet, doch es ist inzwischen ein Betriebsrat gewählt worden, um weiteren Ausuferungen entgegen zu treten. Denn bei dieser Firma sind neuerdings auch Bulgaren tätig. Als der neue Betriebsrat den IG BAU-Flyer verteilt und mit den Bulgaren geredet habe, „hat es gleich Ärger gegeben“, berichtet einer: „Erst hieß es, wir hetzten die Bulgaren auf, aber dann hat ein Bulgare die Baustelle verlassen, weil er sich von dem Unternehmer betrogen fühlte.“
Schulze appelliert an die Leute, die bundesweite Hotline der Gewerkschaft anzurufen, wenn sie von illegaler Beschäftigung erfahren sollten. Ob sie das wirklich tun, wissen die Gewerkschafter auch nicht. Zumindest sichern die Arbeiter zu: „Bei groben Verstößen leiten wir das an die Zollfahndung weiter.“ Der Zoll hat inzwischen von den Arbeitsämtern die Fahndung nach illegaler Beschäftigung übernommen.
Für die Task Force-Leute ist die Zustimmung auf den Baustellen längst nicht immer so einmütig wie an diesem Tag. „Ich bin auch schon von Leuten mit Dachlatten von der Baustelle gejagt worden“, sagt Schulze. Aber das sei die Ausnahme. Normalerweise hört man ihnen zu, den Männern von der Gewerkschaft.
Enttäuscht sind die beiden Männer über die Berichterstattung in den Medien. „Wenn ich Sabine Christiansen höre, wird mir schlecht“, sagt Schulze. „Rente mit 65“, ergänzt Kühnel, „da lache ich doch: Die Leute gehen hier durchschnittlich mit 59 Jahren in die Erwerbslosigkeit – und dann sind sie schlicht kaputt.“