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Archiv-Artikel

Verwahren wie in der Steinzeit

Betreuung geistig Behinderter wird durch neues Gesetz auf ein Minimum reduziert werden, befürchten Hilfsvereine. Künftige Pauschalvergütung entlastet öffentliche Haushalte und führt zu doppelter Anzahl von Klienten pro Betreuer

von eva weikert

Martin Eckert ist in großer Sorge. In Berlin haben die Beratungen über ein neues Betreuungsgesetz begonnen, und sollte der Bundestag die Novelle wie geplant im Herbst verabschieden, dann sieht der Hamburger Sonderpädagoge für seine Schützlinge schwarz. „Das ist ein Schritt in Richtung Steinzeit“, rügt der Geschäftsführer von „Leben mit Behinderung Hamburg“, dem bundesweit einzigen Betreuungsverein speziell für geistig Behinderte. Denn die Vergütung einer rechtlichen Betreuung nach Aufwand und Zeit soll künftig durch eine niedrigere Pauschale ersetzt werden. Ob der Sparwut warnen Sozial- und Behindertenverbände vor bürokratischer Massenbetreuung. „Behinderte in die Selbständigkeit zu führen“, so Eckert, „können wir dann vergessen.“

Hamburg hat wie alle anderen Bundesländer vor allem ein finanzielles Interesse an der Reform des Betreuungsrechts und darum den Gesetzentwurf im Bundesrat bereits mit seiner Stimme mitgetragen. Allein 2003 gab die Justizbehörde für die rechtliche Betreuung kranker, behinderter und alter Menschen knapp 15 Millionen Euro aus (siehe Kasten).

Um Geld zu sparen, sollen Berufsbetreuer monatlich in Zukunft nur noch zwei Stunden für Schützlinge abrechnen dürfen, die in Sozial- oder Pflegeeinrichtungen wohnen, und dreieinhalb Stunden für jene, die in den eigenen vier Wänden leben. Selbst im hiesigen Justizressort gibt es offenbar Kritiker der neuen Pauschalvergütung: „Die erzielbaren Einkünfte sind für Berufsbetreuer nicht auskömmlich“, moniert die Hamburger Landesarbeitsgemeinschaft (AG) Betreuungsgesetz, in der neben den Betreuungsvereinen auch Vormundschaftsgerichte und die zuständige Behörde vertreten sind.

Die zugrunde gelegten Betreuungszeiten seien so gering bemessen, beklagt die AG in einer Stellungnahme, dass Berufsbetreuer ihre Aufgaben künftig „auf ein Minimum werden beschränken müssen“. Und damit, so befürchtet etwa Behinderten-Referent Peter Hambrinker von der Diakonie, „können wir den jetztigen Standard unserer Beratungsleistung nicht halten“.

Birgit Struck teilt Hambrinkers Bedenken. Wie die Sozialpädagogin beim Verein Leben mit Behinderung kritisiert, „wird der gesamte rechtliche Vertretungsbedarf eines Menschen auf wenige Stunden zusammengequetscht“. Um Wünsche über die Lebensgestaltung zu eruieren, „muss man aber den Betreuten kennen, und das braucht Zeit“.

Schon jetzt unterstützen die vier Berufsbetreuer des Vereins in Barmbek jeweils fast 40 Behinderte. Komme die Reform, beklagt Pädagogin Struck, dann müssten die Betreuer die Zahl ihrer Schützlinge verdoppeln, um noch auf ihre Kosten zu kommen. „Eine qualifizierte Vertretung droht da baden zu gehen.“

Um das zu verhindern, will Eckert jetzt an die Hamburger Bundestagsabgeordneten appellieren, sich für eine Änderung des Gesetzentwurfes einzusetzen. Die Novelle müsse auf die spezielle Situation von Behinderten eingehen, „die mitten im Leben stehen und vorwärts wollen“. Dafür bedarf es nach seiner Ansicht mehr Aufwand als etwa für die Betreuung alter Menschen. „Das Gesetz“, mahnt Eckert, „muss da einen Unterschied machen.“

Vor allem das Ziel der Behindertenhilfe, mehr Menschen in ihren eigenen Wohnungen zu betreuen, sieht er durch den Sparzwang gefährdet. Bliebe am Ende weniger Zeit für die Betreuten, ihre Interessen vorzubringen, so Eckert, „drehen wir das Rad zurück und sind wieder beim reinen Verwahrsystem“.