: Zwergenaufstand
In Großbritannien haben Zeitungen im Tabloid-Format den Markt umgekrempelt. Auch hierzulande könnte es bald mehr große Zeitungen in klein geben – wenn Springers „Welt Kompakt“ erfolgreich ist
VON PEER SCHADER
Vor sieben Monaten gab es an den Londoner Kiosken eine kleine Revolution: Der britische Independent wurde erstmals als Tabloid-Ausgabe verkauft, als Zeitung im „halben“ Format, das bis dahin vorwiegend der Yellow Press vorbehalten war. Die Idee: Das Tabloid bietet den gleichen Inhalt wie die große Ausgabe, allerdings in handlicherem Layout. Das Experiment zielte vor allem auf Pendler. Die sollten in der U-Bahn endlich die Zeitung auffalten können, ohne den Sitznachbarn anrempeln zu müssen.
Seit dem Start des Tabloids ist die Auflage des Independent um satte 15 Prozent gestiegen. Nach dem Erfolg in London wurde das kleine Format neben der traditionellen Broadsheet-Ausgabe auch in anderen Regionen Großbritanniens verkauft. Inzwischen ist es so erfolgreich, dass der Verlag plant, künftig ganz auf die große Ausgabe zu verzichten – auch, weil der Druck zwei unterschiedlicher Formate auf Dauer ein teurer Spaß ist.
Langsam geht’s los
Mit seinem Traditionsbruch könnte der Independent die europäische Zeitungslandschaft verändern. In Großbritannien erscheint inzwischen auch die Times im Tabloid-Format – wenn auch mit weit weniger Erfolg. In den Benelux-Ländern und in Skandinavien wird ebenfalls an handlicheren Ausgaben gebastelt. Das Schweizer Boulevardblatt Blick gibt’s bereits seit Anfang dieser Woche testweise in klein. Nur in Deutschland tat man sich bisher schwer.
„Manche Verleger haben noch immer das Vorurteil, eine große Zeitung brauche auch ein großes Format“, sagt Zeitungsdesigner Norbert Küpper. Hinzu kommt das wirtschaftliche Risiko. Dass die Times ihre Auflage trotz Tabloid nur minimal steigerte und das Kleinformat nun mit Preisnachlässen anschiebt, werten Experten bereits als Warnzeichen.
Dabei wird in vielen Verlagen davon ausgegangen, dass die Tabloids auch hierzulande erfolgreich sein könnten. „Ich kann mir vorstellen, dass es auf dem deutschen Zeitungsmarkt Platz für solche Formate gibt“, urteilt Uwe Vorkötter, Chefredakteur der Berliner Zeitung. „Ich glaube aber nicht, dass das nach dem englischen Muster funktioniert, man also eine Zeitung in zwei Größen produziert.“
Ähnlich sieht man das offenbar beim Axel Springer Verlag, der Ende Mai einen ersten Tabloid-Test im Raum Düsseldorf wagt. Dort erscheint in einer achtwöchigen Testphase Welt Kompakt – eine Welt im Kleinformat, die allerdings keine 1:1-Umsetzung der großen Ausgabe sein soll, sondern ein eigenständiger Titel mit Nachrichtenschwerpunkt. „Wir bringen eine neue Qualitätszeitung mit einem eigens für das Tabloid-Format entwickelten Konzept heraus. Ich glaube, dass wir so eine größere Chance haben, neue Leser anzusprechen“, sagt Welt-Chef Jan-Eric Peters, der auch Welt Kompakt verantwortet.
Die Konkurrenz wartet mit Spannung ab, wie sich der Neuling schlägt. Sollte Springer erfolgreich sein, sind Reaktionen anderer Verlage absehbar. Die Branche warte bloß noch „auf ein Beispiel, das Appetit macht“, vermutet Tagesspiegel-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo. So ein Beispiel könnte auch 20 Cent sein, eine Zeitung für junge Leser, die Holtzbrinck in der kommenden Woche in Cottbus an den Start bringt – ebenfalls in klein.
Dass deutsche Zeitungen in absehbarer Zukunft ganz auf Tabloids umstellen, hält di Lorenzo jedoch für unwahrscheinlich. Denkbar wäre allerdings, einzelne Teile der Zeitung im handlicheren Format zu drucken: „Für den Fall, dass die wirtschaftlichen Voraussetzungen gegeben sind, sind wir gerüstet. Wir haben Entwürfe, die man nur aus der Schublade ziehen müsste.“
Kritischer gibt man sich bei der FAZ. Herausgeber Berthold Kohler: „Ich glaube nicht, dass man die britischen Erfahrungen so einfach auf den deutschen Markt übertragen kann.“ Für die FAZ komme eine Änderung des Formats deshalb nicht in Frage. „Man muss eher überlegen, wie man das Großformat für den Leser zugänglicher macht.“ Ob das reicht, um junge Leser zu gewinnen, die sich bisher nicht für die traditionellen Zeitungen interessieren, ist fraglich. Modern wirkende Tabloids scheinen da erfolgversprechender.
Leicht wird das allerdings nicht. Vor zweieinhalb Jahren testete Springer mit dem flott gemachten – und sehr stark regional ausgerichteten – Boulevardblatt extra im Raum Mannheim schon einmal ein Tabloid-Format. Nach vier Wochen wurde es wegen schlechter Verkaufszahlen eingestellt. Chefredakteur war damals – Jan-Eric Peters.
Fehlt bloß noch, dass auch Deutschlands größtes Boulevardblatt sich verkleinert. Bild erscheint nämlich im Broadsheet-Format der Qualitätszeitungen.