: „Wer Zuwanderung mit Sicherheit verknüpft, landet in einer Falle“, sagt Safter Cinar
Für die deutschtürkische Community haben die rot-grünen Verhandlungen mit der Union nur zu Rückschritten geführt
taz: Das rot-grüne Zuwanderungsgesetz droht zu scheitern. Macht Sie das traurig?
Safter Cinar: Nein, im Gegenteil, ich wäre erleichtert, wenn man mit dieser Art von Etikettenschwindel aufhört. So wie die Verhandlungen gelaufen sind, war es völlig übertrieben, überhaupt noch von einem „Zuwanderungsgesetz“ zu sprechen. Was im Vermittlungsausschuss am Ende auf dem Tisch lag, war weder ein Zuwanderungs- noch ein Integrationsgesetz, sondern ein Gefahrenabwehrgesetz – und das braucht dieses Land nicht.
Innenminister Schily sagt, man brauche ein gemeinsames Gesetz und einen Konsens in der Ausländerpolitik mit der Union, weil das dem inneren Frieden in Deutschland diene.
Das ist grundsätzlich richtig, aber dafür müssten alle Parteien diesen Konsens wollen. Ich habe aus den letzten zwei, drei Jahren nicht den Eindruck, dass die Union diesen Konsens will – jedenfalls keinen, der dem inneren Frieden dienen würde. Sie hat nach jeder Verhandlungsrunde neue Forderungen aufgestellt, die weitere Verschärfungen für Migranten bedeutet hätten. Dass Rot-Grün so lange darauf eingegangen ist und so viele Zugeständnisse gemacht hat, hat zu einem Rückschritt in allen Bereichen der Zuwanderungspolitik geführt, den ich sehr bedaure. Am schlimmsten finde ich, dass man eine Vermischung der Themen Zuwanderung und Terrorismus zugelassen hat. So wurde in den letzten Monaten fast nur noch über Sicherheit geredet.
Ist das nicht verständlich, weil es nach den Anschlägen von Madrid noch mehr Angst vor Terror gibt?
Natürlich können auch SPD und Grüne nicht so tun, als ob Deutschland davon nicht betroffen wäre. Es kann auch nötig sein, dass sie Gesetze verschärfen müssen. Das Problem liegt aber darin: Sobald man sich darauf einlässt, das zusammen mit der Zuwanderung zu verhandeln, kommt man aus dieser Falle nicht mehr raus.
Eine Falle für wen?
Erst mal eine Falle für die Regierung. Sie macht sich erpressbar. Man hat es ja in den Verhandlungen gesehen. Rot-Grün ist in die Defensive geraten, hat der Union immer neue Sicherheitsgesetze angeboten, ohne aber irgendwelche Zugeständnisse im eigentlichen Zuwanderungsgesetz zu bekommen. Im Gegenteil. Um das heikle Thema Sicherheit gemeinsam zu lösen, war Schily bereit, auch den letzten Rest an Verbesserungen im Migrationsbereich aufzugeben. Für die integrative Wirkung, die dieses Gesetz einmal haben sollte, ist diese Entwicklung verheerend. Auch das meine ich mit Falle. Es ist für die Migranten frustrierend zu erleben, dass im Zusammenhang mit Ausländern wieder hauptsächlich von Gefahr und Gesetzesbrechern die Rede ist.
Wer trägt daran Schuld?
Ich weiß es nicht. In erster Linie sicher die Union, die einfach nicht bereit ist, die Realität der Einwanderungsgesellschaft anzuerkennen. Diese Angst vor der Realität und vor der Zukunft ist rational nicht mehr zu begründen. Jedenfalls waren vor drei, vier Jahren, zu Zeiten der Süssmuth-Kommission, Gesellschaft und Politik schon weiter. Dieser Moment ist irgendwie wieder verloren gegangen. Offenbar hat auch Rot-Grün Angst vor der eigenen Courage bekommen.
Zumindest die Grünen geben sich gerade wieder couragiert.
Warten wir erst mal ab, ob sie bei ihrer momentanen Linie bleiben. Wenn die Grünen sich immer an ihre Beschlüsse gehalten hätten, dann hätten sie gar nicht so lange weitermachen dürfen. Sie hätten viel früher die Notbremse ziehen müssen – dann wäre die Union vielleicht nicht so weit gegangen.
Angenommen, die Verhandlungen werden wirklich beendet – wie soll es weitergehen?
Was wir am dringendsten brauchen, wäre ein Gesetz, das mehr und bessere Integrationsmaßnahmen ermöglicht. Das wäre auch ohne die Union möglich.
Aber nur, wenn Rot-Grün es selbst bezahlt.
Wenn die Regierung wirklich will, wenn sie ihre Versprechungen ernst meint, muss sie auch bereit sein, Geld auszugeben. Man kann nochmal probieren, ein separates Integrationsgesetz mit der Union zu machen, aber wenn das nicht geht, muss Rot-Grün endlich alleine etwas tun. Sonst ist die Legislaturperiode um und nichts passiert.
Müssten nicht auch die Migranten selbst bereit sein, mehr für Integration zu tun?
Das ist so ein Pauschalvorwurf, der immer kommt und selten konkret diskutiert wird.
Der Bund hat kaum Geld. Sie könnten sagen, auch Migranten müssen sich an den Kosten der Integration beteiligen.
Eine angemessene Beteiligung halte ich durchaus für akzeptabel. Es stimmt schon: Wer etwas für einen Kurs bezahlt, ist wahrscheinlich motivierter. Es kann aber nicht sein, dass alle Migranten alles selbst bezahlen müssen. Es sind ja nicht alles Millionäre, die hierher ziehen.
Was beschäftigt die Deutschtürken mehr – das Zuwanderungsgesetz oder der EU-Beitritt der Türkei?
Gute Frage. Die Leute schauen vor allem darauf, was bedeutet die Politik für mich praktisch. Beim Zuwanderungsgesetz hatten viele nur noch die Befürchtung, dass es zu Verschlechterungen kommt. Die Diskussion um den EU-Beitritt ist mit mehr Hoffnung verbunden. Noch. Das liegt an der bisher positiven Haltung der Bundesregierung. Wie sich Deutschland in dieser Frage verhält, hat viel mit Integrationsmotivation zu tun. Vielleicht mehr als ein bürokratisches Gesetz. INTERVIEW: LUKAS WALLRAFF