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Archiv-Artikel

„Weißspargel ist was für Frauen“

Paul Schulze

„Ich habe den besten Beruf, den es gibt. Alles das, was ich mein Leben lang erlebt und gelernt habe, das kann ich nur als Landwirt anwenden“„Schinkenröllchen? Ich mag lieber das, was ich von klein auf kenne, ich komme schließlich aus einer Spargel-Familie. Hollandaise irritiert mehr im Geschmack“

Die letzte Stange Spargel des Jahres liegt auf dem Tisch von Biobauer Paul Schulze. Morgen geht die Saison für das Edelgemüse zu Ende. Hinter Paul Schulze liegen acht Wochen Bücken, Stechen, Wiegen und Verkaufen. Seit 1992 hat der 62-Jährige einen Demeter-Hof im brandenburgischen Briest. Es ist ein Kleinbetrieb mit 135 Hektar Anbaufläche. 8,5 davon gehören dem weißen Gold. Im Gegensatz zu seinen Kollegen hat Paul Schulze die Ernte schon eine Woche früher beendet: „Ich will meine Felder nicht unnötig quälen“, sagt er. Über Kochtipps, landwirtschaftliche Ethik und das poetische Lebensgefühl: Die Philosophie eines Spargelbauers

Interview SIMONE ROSSKAMP und ULRICH SCHULTE

taz: Herr Schulze, morgen endet die Spargelsaison. Sie sind Spargelbauer. Haben Sie jetzt frei?

Paul Schulze: Nein, ich trete meine Zunge platt. Spargelsaison ist das Schlimmste, ja – und danach müssen wir erst mal wieder aufräumen.

Sie räumen auf dem Feld auf?

Nee, hier zu Hause. Die Maschinen säubern, gucken, was alles kaputt ist. Und dann die Zigarettenkippen auf dem Hof, das ist ja wie eine Flut, die hier reinschwappt.

Die Kunden?

Ja, aber trotzdem haben wir die besten Kunden, die es gibt. Welcher Verkäufer kann sich schon rühmen, dass seine Kunden ihm Blumen schenken, dass sie auch mal Essen mitbringen, weil sie wissen, wir haben wenig Zeit. „Frau Schulze“, sagt eine Bekannte zu meiner Frau, „wir würden Ihnen gerne mal eine Spargelsuppe kochen, ja, hier ham Se …“

Was essen Sie denn an einem typischen Verkaufstag?

Früh um fünf geht’s los, da bringe ich die Leute raus. In der Zwischenzeit isst meine Frau und macht Frühstück für mich. Dann kommt das Personal, das den Spargel wäscht und sortiert, gleich darauf die ersten Kunden, und ich habe einfach keine Zeit zum Essen. Ich hole Spargel rein, rechne ab und wiege, und das geht dann abends so bis halb zehn. So ungesund wie jetzt habe ich noch nie gelebt. Sagt meine Frau auch.

Und das Gefühl heute? Gut, dass es vorbei ist, oder eher wehmütig?

Gemischt. Ich habe mit den Jahren einen sehr guten Kundenkreis. Man kennt sogar die familiären Probleme. Und sonst habe ich ja außer meinen Viehchern kaum einen, mit dem ich reden kann …

Ihre Frau!

Gut, sie ist aber nicht auf dem Trecker oder draußen mit dabei.

Sie kommen kaum zum Essen in diesen acht Erntewochen, nicht mal zum Spargelessen?

Ja. Es bleiben aber immer ein paar Hand voll übrig, die wir dann gemeinsam essen. Wobei sie natürlich immer sehr viel roh verkostet. Sie sagt mir dann immer Bescheid: Du, das ist von der und der Ecke, das hat einen leicht bitteren Geschmack.

Das heißt, je nach Feldecke schmeckt der Spargel anders?

Natürlich, natürlich.

Woher kommt der Unterschied?

Sokrates sagte: Ich weiß, dass ich nichts weiß. Die Natur ist ein Chaos. Der Standort ist unterschiedlich, der Untergrund wechselt, es kommt auf die Pflanzen an. Ich habe ja keine Hybridpflanzen.

Hybridpflanzen? Was genau ist das?

Die sind sehr gleich gezüchtet und nur weiblich. Bei mir sind männliche und weibliche gemischt. Da ist der Geschmack dann unterschiedlich. Und bei den Sorten natürlich auch. Wir hatten zum Beispiel die letzte Züchtung der DDR, an französische angelehnt, Eros hieß die. Die verfärbte sich schnell violett und war im Geschmack besser. Aber es ist schwierig, den Deutschen das klar zu machen. Die denken, ja, der will uns was andrehen.

Sagen Sie den Kunden, das ist von der und der Ecke, den müssen sie länger kochen?

Ja, ja, länger kochen aber nicht, sogar kürzer, weil Spargel von einem besseren Standort mehr Feuchtigkeit hat und eine dünnere Zellstruktur. Ein junger Mensch hat ja auch eine frische, glatte Haut, das ist im Pflanzenreich genauso.

Gibt es gewisse Käufertypen für weißen oder grünen Spargel?

Ketzerisch würde ich sagen: Weißspargel ist was für Frauen, die haben einen feineren Geschmack. Männer nehmen grün, die sagen: Der ist kräftiger, weil das Chlorophyll schon gebildet ist. Frauen sind da halt sensibler – auch in Geschmacksfragen.

In Berlin kostet ein Pfund schon mal 8 Euro. Sie als Erzeuger können das sicher unterbieten.

Suppenspargel kostet nur ein Euro das Kilo, der Höchstpreis ist 6,50 Euro. Zu mir kommen ja auch nur Kleinkunden. Wir mussten aber mit dem Preis 50 Cent runtergehen dieses Jahr, die Situation war schon angespannter.

Plötzlich klingelt das Handy von Paul Schultze.

Die Rinder sind im Spargel.

Mit einem blauen VW-Bus rasen Interviewer und Interviewter über die Landstraße.

Springen die Kühe öfter über den Zaun?

Die schon. Zwei Meter aus dem Stand.

Es geht links in einen Feldweg. Schulze fährt langsamer.

Hier waren die Viecher sonst immer. Sehen Sie Spuren?

Spuren?

Da. Machen Sie die Seitentür auf!

Rottweiler-Schäferhund-Mischling Emmi springt aus dem fahrenden Bus, hetzt auf Herde zu, Schulze fährt schnell, kurbelt, brüllt aus Seitenfenster:

Heeeeeeeey, heeeeeeeey, Emmi, suuuuuch!!!

Schulze hupt. Emmi bellt, rennt, treibt, eine ganze Herde nachgezüchteter Auerochs-Rinder aus dem Spargelgelände. Schulze, nicht außer Atem:

So, jetzt müssen wir überlegen, wo wir waren.

Ist da jetzt viel kaputtgegangen?

Nö, der Spargel ist ja ohnehin schon holzig, das Feld war schon abgeerntet.

Wie oft kann man den Spargel eigentlich abschneiden?

Eine alte Faustregel sagt: maximal bis zur Sonnenwende. Mit chemischer Behandlung machen viele das auch länger. Aber dann sind ihre Anlagen auch nach zehn Jahren fertig.

Sie selbst haben schon eine Woche vor dem offiziellen Ende der Saison aufgehört. Gab es nichts mehr zu holen?

Wissen Sie, das Spargelstechen ist ja eigentlich auch immer ein Bekämpfen des Spargels. Ich schneide ja ständig die Sprosse ab, dadurch erschöpft sich die Pflanze mit der Zeit. Am Ende fiel der Ertrag langsam ab, und wir wussten: ist Schluss jetzt. Warum länger machen? Die Kunden sind alle satt.

Sie wollen ihren Boden also nicht unnötig quälen. Was sind die Kriterien für den speziellen Demeter-Anbau?

Eine Schlüsselrolle spielt der Stalldung. Meinen Kühen habe ich etwa zwei Standorte mit Heu und Stroh eingerichtet. Dazu kommen Kleinkörner aus dem Getreide. Das wird dann vermistet. Außerdem fertigen wir selber Biopräparate an. Homöopathie für den Boden sozusagen.

Muss man den Quietschtest machen, um herauszufinden, dass die Ware wirklich frisch ist?

Man muss einfach mal kosten. Er muss knacken beim Brechen und in Richtung junge Erbsen schmecken. Eigentlich müssten die Feinkostrestaurants auch mehr drauf achten, dass sie Bioprodukte verwenden. Weil wir ja am meisten auf den Geschmack achten.

Warum verschmähen sie dennoch oft Ökoprodukte?

Wahrscheinlich weil die Biobauern die Ästhetik vernachlässigt haben. Weil sie darauf pochen, dass jede Pflanze anders aussieht und auch mal verkrüppelt ist. Das ist natürlich schwierig, das dann rüberzubringen.

Legen Sie auch solche Folien über den Spargel?

Das gibt eine Art Treibhauseffekt, mit dem man den Ertrag regulieren kann. Habe ich zu viel Spargel, decke ich die weiße Seite nach oben. Dann wird die Sonne reflektiert. Deckt man das schwarze nach außen, kommt der Spargel schneller, weil es ja heißer wird. Die Folien sind aber bei Demeter verpönt.

Wieso eigentlich der biologische Anbau? Was haben Sie gegen die Chemie?

In der DDR habe ich in der Pflanzenschutzforschung gearbeitet – und 20 Jahre im landwirtschaftlichen Pflanzenschutz. Dann kam ja auch die These von Ulbricht: Chemie bringt Wohlstand und Schönheit. Ja, das habe ich dann auch mal ausprobiert. Da war dann aber nachher keine Nachtigall, nichts mehr. Ich habe mehrere Jahre gebraucht, um das wieder gutzumachen.

Und dann kam der Hof hier in Briest?

Ja, nach der Wende wollte ich was Eigenes machen. Einen Kleinbetrieb, eine Marktnische wollte ich finden. Also der biologische Anbau. Demeter hat mir einfach zugesagt, weil da auch eine geistige Haltung dahinter steht. Schließlich jagt in der Landwirtschaft eine Katastrophe die nächste.

Und sind Sie zufrieden?

Ich habe den besten Beruf, den es gibt. Alles das, was ich mein Leben lang erlebt und gelernt habe, das kann ich nur als Landwirt anwenden. Es ist falsch zu behaupten, dass ein Bauer eine schlechte Schulbildung hat. Er muss die beste haben. Er ist der Sämann und der Sensenmann. Dies darf er auch nie verkennen.

Das klingt ja richtig poetisch …

Ja, das ist es auch. Sich von seinen Tieren zu trennen, ist dabei natürlich auch schmerzlich. Der Landwirt muss vorausdenkend sein, bis 100 Jahre. Er muss so wirtschaften, dass nicht seine Kinder sagen: Was hat er denn da für einen Mist gemacht. Er darf das, was er macht, nicht als sein Kapital sehen. Es wird ihm ja nur zeitweise wie eine Art Mitgift übergeben.

In bestimmten Regionen wissen die Menschen, jetzt ist Spargelsaison, und zelebrieren das auch richtig. Ist das international so?

Es ist schon eher eine deutsche Tradition. Geht man zurück in die Zeit, als es noch keine Gewächshäuser für die breite Masse gab, merkt man: Der Spargel ist im Jahr das erste Gemüse, das kommt. Das erste, und trotzdem zart und schön. Daher kommt das.

Nicht daher, dass Spargel ein besonders elegantes Gemüse ist?

Doch, sicherlich. Es könnte eine Rolle spielen, dass Bleichspargel so schön weiß ist. Wenn man da so sein Schnitzel dazu hat auf dem Teller: Ich finde das immer wieder sehr ästhetisch.

Wie mögen Sie Spargel am liebsten? Eher die natürliche Variante oder mit dicker Sauce Hollandaise?

Alle Varianten, die meine Frau kocht. Die hat echt was drauf. Ihr Spargelsalat etwa.

Keine Schinkenröllchen?

Ja, aber die Variante ist ja noch ganz frisch. Ich mag lieber das, was ich von klein auf kenne, ich komme schließlich aus einer Spargel-Familie. Mit Schnitzel und Salzkartoffeln dazu. Diese Hollandaise irritiert mehr im Geschmack.