: berliner szenen Vor dem Regen
Liegestühle in Neukölln
Da, wo Neukölln eine Autobahn hat, steht auch ein Wohngebiet. Die Autobahn wird nicht fertig gebaut. Eine breite Zubringerstraße endet im Nichts, Unkraut zwängt sich durch den Beton, unten rauscht der Verkehr von den anderen Autobahnstraßen. Die Menschen im Wohngebiet waren nicht begeistert, als es hieß, die Autobahn kommt. Die Stadt hat daher zwischen das Wohngebiet und die Autobahn einen Park gepflanzt. Damit die Neuköllner spazieren gehen. Damit sie keine Steine auf die Autos werfen.
Jetzt trinken die Neuköllner in dem Park und lassen ihre Hunde laufen. Nur selten passiert etwas. Nur selten passiert es, dass eine Künstlerin kommt mit einer Truppe von Helfern, mit dem Bezirksbürgermeister und der Frau vom Kulturamt. Die Künstlerin und ihre Helfer stellen im Park einen Blechcontainer auf. Sie holen hellblaue Liegestühle aus dem Container. Die Neuköllner sollen sich in die Liegestühle setzen. Sie sollen mit den Liegestühlen Gruppierungen bilden und Lieblingsplätze suchen, sagt die Künstlerin. Sie trägt Jeans und eine Kunstlederjacke, sie ist froh, dass ihre Idee mit den Liegestühlen vom Kulturamt finanziert wird.
Um 15 Uhr haben die Helfer etwa 60 Liegestühle aufgestellt. Der Bezirksbürgermeister hält eine Rede. Hinterher verteilt er weiße Schirmmützen an die türkischen Kinder. Die setzen sich mit den Mützen auf dem Kopf in die Stühle. Ein alter Trinker läuft verloren umher. Auch er trägt eine von den Schirmmützen. Am Himmel ziehen Regenwolken auf. Die Helfer klappen die Liegestühle wieder zusammen. Der Bezirksbürgermeister packt einen Stapel weißer Schirmmützen in den Kofferraum seines Wagens. Es ist 15.23 Uhr, und es fängt jetzt wirklich gleich an zu regnen. KIRSTEN KÜPPERS