IM STREIT UM DIE FLÜCHTLINGE ENTZAUBERT SICH ITALIENS REGIERUNG
: Offen faschistische Rhetorik

Dramatische Bilder von überladenen Flüchtlingsschiffen, von überfüllten Aufnahmelagern und abgerissenen Elendsgestalten, die an Italiens Stränden anlanden – sie waren das Material, mit dem Umberto Bossi einst seine Kampagnen gegen die „zu lasche“ Einwanderungspolitik der damaligen Mitte-links-Regierung führte. Jetzt kommen die gleichen dramatischen Bilder täglich live aus Lampedusa und werden für Bossis Lega Nord zum ernsten politischen Problem.

Schließlich war es das Hauptwahlversprechen der Lega, endlich dem heranwogenden Gesocks aus der Dritten Welt einen Riegel vorzuschieben. Das im letzten Jahr verabschiedete Ausländergesetz trägt auch Bossis Namen. In offen faschistischer Rhetorik beschwören Bossi und die Seinen die Rettung Italiens vor „Überfremdung“ und „Zersetzung“ – und fürchten jetzt, vor ihrer fanatisierten Basis als Maulhelden dazustehen. Schon mit der Einführung der neuen Ausländerparagrafen musste die Lega eine bittere Pille schlucken: Das Gesetz sieht zwar scharfe Restriktionen für künftige Einwanderer vor, regelt zugleich jedoch den legalen Status für die im Land lebenden 700.000 Immigranten.

Da können Bossi die überraschend besonnenen Töne des Innenministers Giuseppe Pisanu nur zur Weißglut treiben. Der Mann fordert nicht nur Humanität, er erinnert auch noch daran, dass die Menschen sehr gute Motive haben, die sie auf die Wanderung treiben: Flucht vor Elend und Perspektivlosigkeit. Darüber ist Pisanu in den letzten Tagen zum heimlichen Star der Linken in Italien geworden, doch sein Dienstherr Berlusconi hat ernste Sorgen. Denn die Drohung der Lega Nord mit der Regierungskrise ist alles andere als leeres Gerede. Schließlich musste Bossi bei den Regional- und Kommunalwahlen kürzlich erkennen, dass seine Anhängerschaft auf den harten Kern zusammengeschrumpft ist. Und der aber hat die Beteiligung an der Regierung des ungeliebten Berlusconi nur geschluckt, weil er vor allem „Reformen“ bei der Einwanderungspolitik erwartetet.

Nun rächt sich für Berlusconi, dass er bei der Auswahl seiner Allianzpartner wenig zimperlich war: Folgt er dem Scharfmacherkurs Bossis, riskiert er den Verlust von Wählern und Alliierten in der Mitte. Stellt er sich gegen die Lega, könnte Bossi schon bald von der Fahne gehen. Dann würde überraschend pünktlich wahr werden, was der mittlerweile verstorbene Starjournalist Indro Montanelli vorhergesagt hatte: Berlusconi brauche bloß zwei Jahre zu regieren, um sich samt seiner Koalition selbst zu entzaubern. MICHAEL BRAUN