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nebensachen aus istanbulBarocke Klänge in altehrwürdigem Gemäuer

Warum Bach im Sommer die Hitlisten in Istanbul anführt

Es gibt Kleinode, die einem direkt vor der Nase liegen, doch man sieht sie nicht. Istanbul ist voll davon: Eines der bemerkenswertesten ist die „Kirche des Heiligen Friedens“, Aya Eirene, die Irenenkirche. Im vierten Jahrhundert errichtet, ist sie mittlerweile ein Geheimtipp.

Denn seit ein paar Jahren erwacht Aya Eirini im Sommer wieder zum Leben. Die Istanbuler Kultur- und Kunststiftung nutzt die ehemalige Kirche als Veranstaltungsort für das alljährlich stattfindende „Internationale Musikfestival“. Wer mit Musik in der Türkei nur Tarkan, Sezen Aksu oder zu Flötentönen stampfende kurdische Männergruppen verbindet, wird sich hier erstaunt die Augen reiben. Bach-Wochen in Aya Eirene waren der Sommerhit 2002, und auch für diesen Sommer steht wieder Barock auf dem Spielplan.

Es gibt kaum einen schöneren Ort für klassische Konzerte, als diese bald 1.800 Jahre alte Kirche. Weil das umliegende Gelände höher liegt, geht es über eine gepflasterte Rampe nach unten, wie in eine Katakombe. Doch die Düsternis des Gangs verfliegt, wenn man die Kirche betritt. Der große Raum wird durch die Kuppel erleuchtet. Direkt darunter ist die Bühne für das Orchester aufgebaut. Die Akustik ist fantastisch, meterdicke Mauern schirmen die Außenwelt ab.

Orchester und Solisten aus aller Welt geben sich hier vor ausverkauftem Haus den Taktstock in die Hand. Wer da war, will im nächsten Jahr unbedingt wiederkommen. Das Kammermusikensemble der Akademie für Alte Musik aus Berlin ist in diesem Jahr erstmals dabei. Auch andere Konzertveranstalter haben den Reiz des alten Gemäuers entdeckt, doch die Kulturbehörden wollen die Kirche nicht für Pop-Events freigeben. Selbst eine Silvesterparty sollte schon in den altehrwürdigen Mauern von Aya Eirene stattfinden. Das wurde gerade noch verhindert.

Stattdessen wird die ehemalige Kirche jetzt alle zwei Jahre im Herbst als ein Hauptstandort für die Istanbuler Kunst-Bienale genutzt. Avantgardistische Videoinstallationen neben Spuren byzantinischer Fresken haben sich dabei als besonderes Erlebnis herausgestellt. Doch wenn das Festival vorbei ist, werden in der Irenen-Kirche die Pforten wieder geschlossen, und das Kleinod gerät in Vergessenheit. Wie seit 1.500 Jahren, als die Kirche des Heiligen Friedens von der Hagia Sophia abgelöst wurde. Zu osmanischen Zeiten war sie keine Moschee, sondern das Waffendepot der Janitscharen.

JÜRGEN GOTTSCHLICH

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