Stoßgebete für Saddam Hussein

aus Falludscha INGA ROGG

Der Amtssitz des Bürgermeisters von Falludscha ist von amerikanischen Truppen streng bewacht. Jeder Besucher wird kontrolliert. Vor einer Woche hat eine aufgebrachte Menge versucht, die Büros im Zentrum der Stadt zu stürmen. Bürgermeister Taha Bedwa Hamid ist Ende April von einem Rat aus Stammesvertretern, örtlichen Notabeln und Geistlichen gewählt worden. Und seitdem hat er alle Hände voll damit zu tun, die Widersprüche zwischen den amerikanischen Besatzern und ihren Gegnern in der Stadt 50 Kilometer westlich von Bagdad zu meistern. Hartnäckig hält sich in Falludscha nämlich der irakische Widerstand.

Den versuchten Sturm auf das Bürgermeisteramt dürfe man nicht überbewerten, sagt der 52-jährige Ökonom. Gerade steht eine Gruppe Männer an, um sich für einen Job bei den Sicherheitsdiensten zu bewerben. Die Sicherheitsleute, die nicht Teil der regulären Polizei sind, sollen künftig an strategisch wichtig Einrichtungen wie den Wasser- und Elektrizitätswerken oder Banken eingesetzt werden. Mit der vor drei Tagen landesweit angelaufenen Aktionen hoffen die Amerikaner vor allem eine Beschäftigung für arbeitslos gewordenen Soldaten zu finden, unter denen es seit der Auflösung der Armee brodelt. Ein paar Jungs schäkern mit zwei Soldaten und versuchen ihnen Pepsi-Cola zu verkaufen.

Von so viel Tuchfühlung mit den fremden Truppen hält Sami Mehdi wenig. Der kräftige 63-Jährige betreibt an der vierspurigen Hauptstraße, die das Zentrum der Stadt bildet, einen Gemischtwarenladen. Toilettenartikel aus Europa, der Türkei und Syrien, Uhren, Sonnenbrillen sowie Süßwaren, Erfrischungsgetränke und Kinderspielzeug sind liebevoll in Regalen und Vitrinen sortiert. „Die Amerikaner mischen sich in alles ein“, schimpft der 63-Jährige. Sie würden willkürlich Taschen kontrollieren, Häuser durchsuchen und unbescholtene Bürger festnehmen. Ihn selbst habe jemand bei den Amerikanern angeschwärzt, dass er Waffen verstecke. Daraufhin wurde sein ganzes Haus auf den Kopf gestellt – ergebnislos, wie er sagt. „Das ist ein islamisches Land, und kein Muslim will die Amerikaner hier“, sagt der Geschäftmann in einer gepflegten Dischdascha, dem traditionellen arabischen Männerkleid, aus feinem lindgrünem Tuch. „Sie sollten das auch respektieren“, ermahnt er die Reporterin. „Sie hätten ein Kopftuch aufziehen sollen.“

Kopftuch hin oder her, um Nu füllt sich der Laden mit weiteren Männern, die ihre Meinung kundtun wollen. Jeder hat seine Version über die Absichten der Amerikaner, aber gute sieht keiner.„Sie wollen unser Öl, um es billig an Israel zu verkaufen und die Araber zu schwächen“, glaubt Yussuf Hamadi. Am Ende würde es den Irakern wie den Palästinensern oder Afghanen ergehen. „Zudem sollen wir uns Satellitenschüsseln zulegen, damit sich hier die Unsitten des Westens verbreiten“, sagt der 33-Jährige, der in der Nachbarschaft einen kleinen Laden besitzt.

Seit am 28. April amerikanische Soldaten in eine Demonstration schossen und dabei 15 Personen töteten, ist es in Falludscha immer wieder zu Attacken auf US-Soldaten gekommen. Das amerikanische Zentralkommando hat darauf mit einer Verstärkung der Truppen und zahlreichen Razzien reagiert, bei denen in den vergangenen Wochen hunderte Personen festgenommen wurden. Wer hinter den Attacken steckt, weiß niemand so genau. Es seien Mitglieder der ehemaligen Republikanischen Garden und der Fedajin-Miliz, sagt der Bürgermeister. Aber auch Islamisten, die von den Nachbarländern finanziert würden, macht er für die Anschläge verantwortlich. In einem Anfang der Woche veröffentlichten Bericht hat die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch den Amerikanern indes vorgeworfen, unnötig harte Gewalt anzuwenden.

„Sie stehlen unser Geld und Gold“, schimpft ein Saftverkäufer, der sich zu der Gruppe in dem Laden gesellt hat. „Zudem belästigen sie die Frauen.“ Seit Wochen kursieren Gerüchte, dass die Soldaten die Frauen durch ihre dunklen Sonnenbrillen nackt sehen könnten. Dabei gilt im Irak das eherne Gesetz: Kein Gerücht über Frauen ist absurd genug, um nicht ernst genommen zu werden. Aus Sicherheitsgründen wollen die Amerikaner deshalb bei Hausdurchsuchungen künftig verstärkt Soldatinnen einsetzen.

Falludscha gilt wie das gesamte so genannte sunnitische Dreieck, das sich zwischen Mosul, Saddams Geburtsort Tikrit, Bagdad und der syrisch-jordanischen Grenze erstreckt, als extrem konservativ. Hier war der Rückhalt für das alte Regime besonders stark. Trotzdem konnten die Koaltionstruppen im April weite Teile des Gebiets fast kampflos einnehmen. Manche Beobachter gehen deshalb davon, dass sich Anhänger des Regimes schon damals auf einen längerfristigen Guerillakrieg einstellten. Unklar ist, inwiefern daran auch islamistische Kämpfer aus den Nachbarländern beteiligt sind, die von Saddam seinerzeit als Hilfstruppen rekrutiert wurden. Obwohl das Zentralkommando weiterhin von Einzelaktionen von Mitgliedern des alten Regimes, Terroristen und kriminellen Elementen spricht, stellt man sich dort mittlerweile auf einen längerfristigen Kleinkrieg ein. Mit Zuckerbrot und Peitsche wollen die Amerikaner dem irakischen Widerstand beikommen. „Operation Wüstenskorpion“ heißt das neue Zauberwort. Neben Militäroperationen gegen die Widerstandsnester will man die Bevölkerung mit gezielter humanitärer Hilfe vom guten Willen ihrer Truppen überzeugen.

„Sie bringen täglich 200 Flaschen Gas, etwas Wasser und Spielzeug“, sagt Yussuf Hamadi mit einem Funkeln in seinen graugrünen Augen. „Das ist doch ein Witz.“ Auch seine Kollegen halten wenig von der amerikanischen Charmeoffensive. Strom, Wasser, Löhne – es mangle an allem in dem Kreis mit seinen 600.000 Einwohnern. Dabei war die Stromversorgung auch schon vor dem Krieg katastrophal, vier Stunden gab es täglich Strom, den Rest musste man auch damals schon mit Generatoren bewältigen. Aber für Sami Mehdi und Yussuf Hamadi war das die gute Zeit, die sie sich jetzt wieder zurückwünschen.

An der großen Transitroute nach Jordanien und Syrien gelegen, lebte man in Falludscha ganz gut von den Schmuggelgeschäften mit den Nachbarländern. Üppige Ländereien zeugen vom landwirtschaftlichen Wohlstand der Stadt am Euphratufer. „Uns ging es gut, wir hatten alles, was man zum Leben braucht“, sagt Sami Mehdi. „Freiheit und Demokratie – das brauchen wir nicht. Wir wollen unsere alte Regierung.“ Ja, so dächten sie alle, sagt einer der Umstehenden. Tausend Stoßgebete richte er gen Himmel, damit Saddam Hussein wieder zurückkomme, sagt der Saftverkäufer und macht eine entsprechende Geste mit seinen Händen. Den Kampf um die Köpfe und Herzen der Iraker – in Falludscha haben ihn die Amerikaner vorerst verloren. Dem Bürgermeister steht noch viel Arbeit bevor.