Berufswunsch: Hure

Das Hurenprojekt Hydra berät auch potenzielle Einsteigerinnen ins horizontale Gewerbe. Je nach Motiv werden sie an die Schuldnerberatung verwiesen oder erhalten Tipps für die Bordellsuche

von SONJA WERDERMANN

„Die schnelle Kohle lässt sich mit Prostitution nicht mehr machen. Das sage ich den Leuten, die zu mir in die Einstiegsberatung kommen, ganz direkt. Viele schreckt das schon ab.“ Marion Detlefs, 41, Sozialpädagogin, arbeitet seit acht Jahren bei Hydra e. V., Treffpunkt und Beratungsstelle für Prostituierte.

Kiez und Rotlichtmilieu, Drogen, Schlägertypen und schnell verdientes Geld – viele Mythen umgeben das älteste Gewerbe der Welt. Deshalb berät Hydra nicht nur Frauen, die aus dem Gewerbe aussteigen wollen, sondern auch potenzielle Einsteigerinnen. „Wir arbeiten akzeptierend. Wenn eine Frau in die Prostitution gehen will, dann wird sie das auch ohne unsere Hilfe tun.“ Aber dann sei es besser, sie bekomme vorher nötige Infos zu Recht und Gesundheit.

Das Büro in der Köpenicker Straße ist freundlich eingerichtet. Nur eine große Kiste im Wandregal mit der Aufschrift „Gleitcreme extrastark“ gibt einen Hinweis darauf, womit der Verein sich beschäftigt. Sechs Sozialpädagoginnen und Soziologinnen, zum Teil mit eigener Prostitutionserfahrung, arbeiten hier zusammen mit einem Netzwerk von externen Rechts- und Gesundheitsberatern.

Bei der Einstiegsberatung gehe es vor allem darum, die Motive der Frau zu klären und ihr ein realistisches Bild von der Arbeit zu vermitteln. Denn wenn finanzielle Not der einzige Grund sei, folge in der Regel schnell der Ekel, so Detlefs. Verschuldete würden an eine Schuldenberatung weitervermittelt. Bei anderen sind die Neugierde und das Bedürfnis nach einem Tabubruch schon durch den Besuch in dem Hurenprojekt gestillt. Denn Geld ist nicht immer das entscheidende Motiv: Abenteuersuche und der Wunsch, etwas Verbotenes zu tun, können genauso ausschlaggebend sein. Da gebe es auch den Typus der Lehrerin, die „dem konventionellen Leben etwas anderes entgegensetzen möchte“ und nur ein bis zwei Freier pro Woche bedient, „ohne, dass da die Gelduhr tickt“, erzählt Detlefs. Zumeist hätten die Frauen schon in irgendeiner Weise Zugang zu Prostitution oder zu Situationen, die als prostitutionsähnlich empfunden werden. Die Übergänge sind fließend. „Ich nehme sowieso an, dass die meisten Frauen gelernt haben, Sexualität zu funktionalisieren“, erläutert Detlefs.

Zur Beratung kommen allerdings nur Frauen, die die Entscheidung für die Prostitution relativ bewusst treffen. Meist sind sie 25 Jahre und älter. Die Einstiegsberatung sei daher schon ein „ziemlich intellektuelles, hochschwelliges Angebot“, räumt Detlefs ein. Das dreizehnjährige Mädchen, das mit jemandem mitgeht, weil es nicht weiß, wo es übernachten soll, oder auf der Suche nach Anerkennung und Liebe ist, wird sicher nicht erreicht. Auch Beschaffungsprostitution spielt als Motiv bei den Frauen, die zu Hydra kommen, eine geringe Rolle, denn für sie gibt es Drogenberatungsstellen.

Bei der Krisen- und Umstiegsberatung des Vereins findet man schon eher den „klassischen“ Fall des jungen Mädchens mit Gewalterfahrung, das in ausbeuterischen Verhältnissen mit einem Zuhälter lebt. Für Frauen mit Umstiegswunsch sucht der Verein nach beruflichen Alternativen, teils in Kooperation mit dem Arbeitsamt, teils mit Bildungsträgern. Meist wollen Frauen, die umsatteln wollen, „mit Menschen arbeiten“, denn „Empathie, Einfühlungsvermögen, Menschenkenntnisse – das sind die Fähigkeiten, die sie mitbringen“, so Detlefs. Sie dort tatsächlich unterzubringen, gelingt jedoch nicht immer.

Von den Frauen, die in die Einstiegsberatung kommen, arbeitet etwa ein Drittel später tatsächlich als Prostituierte. Den fest Entschlossenen gibt Hydra Empfehlungen für die Bordellsuche mit auf den Weg. Denn der Straßenstrich, den viele spontan mit Prostitution assoziieren, ist die unpopulärste Form, die Mehrheit arbeitet in bordellartigen Betrieben. „Meiner Ansicht nach ist das noch die behütetste Form der Prostitution, denn wenn es gut läuft, können die Frauen dort gegenseitig auf sich aufpassen“, meint Detlefs.