: Die Spielstätte der Eitelkeiten
Die einzige professionelle türkische Spielstätte Berlins ist vielen Kulturpolitikern ein Dorn im Auge, weil sie oft mit Laien arbeitet und kaum offen für neue Ansätze ist. PDS-Gutachten fordert Abschaffung. Kulturverwaltung setzt auf Beirat
Das seit 19 Jahren bestehende Tiyatrom ist Berlins einzige professionelle türkische Theaterspielstätte. Nun wird es im Gezerre um die Kulturpolitik von und für MigrantInnen zum Schauplatz der Begehrlichkeiten. Die Kulturverwaltung kritisiert vor allem die „einseitige Handhabung der Zugangsmöglichkeiten“ für die Spielstätte, erklärt der zuständige Referatsleiter Manfred Fischer (SPD). Nicht genehme externe Produktionen und Gruppen würden via Terminvergabe benachteiligt. Dabei solle das Theater „als Plattform für viele“ dienen, so Fischer.
Ein von Giyasettin Sayan, dem migrationspolitischen Sprecher der PDS, in Auftrag gegebener Prüfbericht kommt gar zu dem Ergebnis, das Tiyatrom solle „in seiner jetzigen Form abgeschafft werden“. Denn es sei weniger unter einem künstlerischen als unter einem „sozialpädagogischen“ Aspekt zu sehen. Zudem diene die Absichtserklärung von der „Bewahrung der türkischen Kultur und Sprache“ vorrangig der Verteidigung „klientelistischen Verhaltens“. „Über die Sprache und Kultur der hier lebenden Minderheiten aus der Türkei“ werde aber beharrlich geschwiegen.
Auch die Doppelbeschäftigung des Theaterleiters Yekta Arman steht auf dem Prüfstand. Er ist zwar nur als Teilzeitkraft im Tiyatrom beschäftig, dennoch Sprecher, kaufmännischer Leiter, Organisator und Regisseur in Personalunion. Daneben leitet er Theaterworkshops an Volkshochschulen. Für diese nutzt Arman die Bühne des Tiyatrom im Rahmen von Gastspielen als „Übungsort“ für Jugendliche, „damit sie sich auf einer Profibühne messen“ können. Vielen Kritikern, die sich ein qualitativ hochwertiges, politisches Theater wünschen, sind diese Laienauftritte ein Dorn im Auge.
Laut Sevim Türkoglu, die den Prüfbericht für Sayan erstellt hat, liegt die Zukunft des Tiyatrom in der Internationalisierung. Der Schwerpunkt solle zwar türkisch-kurdisch bleiben, aber der Rest müsse sich auf andere MigrantInnengruppen verteilen. Schließlich gehe es nicht an, über die „Fixierung auf die türkische Kultur ewig dieselben Stücke und Leute“ auf die Bühne zu bringen.
Erreicht werden soll dies über eine neue Trägerschaft. Dafür hat sich der ehemalige Arbeiterkultur-Verein Birikim e. V. als Dachverband Umut e. V. (Hoffnung der Kulturen) neu formiert. Mit ihm soll laut Türkoglu die „Verquickung zwischen Sozial- und Kulturpolitik“ aufgehoben werden. Denn beim jetzigen Träger Odak e. V., einem Verein zur Förderung der türkischen Kultur, Theater und Sozialwerkstatt, gruppieren sich therapeutische und psychosoziale Einrichtungen neben kulturellen.
Gerade aber diese sozialpolitische Integrationsleistung des türkischen Theaters betont sein Leiter Yekta Arman – nicht zuletzt auch als Verteidigungsstrategie gegen Kritik an seiner eigenen Person. Das türkische Theater versuche, „eine Brücke zu bauen zwischen zwei Kulturen“.
Ähnlich argumentiert Kulturreferatsleiter Fischer: Das Tiyatrom sei „nicht mit den gleichen Qualitätsmaßstäben zu messen“ wie deutsche Produktionen, da es als eine „Schnittstelle zwischen der Türkei und Berlin“ fungiere. Dennoch solle nun dem Tiyatrom einen künstlerischen Beirat zur Seite gestellt und die Zahl eigener Bespielungen möglichst reduziert werden. Von einem weitreichenden strukturellen wie inhaltlichen Umbau, wie der PDS-Prüfbericht ihn vorsieht, kann laut Fischer derzeit nicht die Rede sein. Man werde erst mit dem jetzigen Träger Odak eine Einigung zu erzielen versuchen.
Der Streit um die Zukunft des Tiyatrom bringt mittlerweile auch einige der in Berlin lebenden türkischen Theatermacher in Rage. Yalcin Baykul, Theaterregisseur und -pädagoge, sieht durch die Änderungspläne der PDS das Tiyatrom als türkische Spielstätte insgesamt bedroht. „Wir wollen unser Theater verbessern“, betont Baykul, „nicht abschaffen.“ Der Theaterregisseur und Schauspieler Orhan Güner hingegen übt scharfe Kritik an der Kulturpolitik im Allgemeinen. Es gehe nicht an, dass Politiker, egal welcher Couleur, sich in die Arbeit der Künstler einmischen oder über die Auswahl der Stücke entscheiden. Dies seien „Verhältnisse, wie man sie aus der Türkei“ kenne.
Nur in einem Punkt sind sich fast alle Beteiligten, außer der Senatsverwaltung, einig; Es fehle an Geld für die ausländische Kultur- und Theaterlandschaft. Denn die derzeit 340.000 Euro Fördermittel für „Kulturaktivitäten ausländischer Bürger und Bürgerinnen“ stünden in keinem Verhältnis zu den in Berlin lebenden MigrantInnengruppen. ANDREA SIEDLER