: GrundschullehrerInnen auf dem Prüfstand
Forscher loben Modellprojekt zur verlässlichen Halbtagsgrundschule. Hauptkritik: Mangelnde Teamarbeit der LehrerInnen. Die überlassen verlässliche Öffnungszeiten meist den ErzieherInnen. Senat will Präsenzpflicht einführen
Bildungssenator Klaus Böger (SPD) will ab dem Schuljahr 2005/06 eine Präsenzpflicht für GrundschullehrerInnen einführen. Das ist eine der Lehren, die Böger aus dem landesweiten Schulversuch „Verlässliche Halbtagsgrundschule (VHG)“ zieht. Fünf Jahre lang haben Erziehungswissenschaftler der Freien Universität (FU) die Entwicklung der 45 Projektschulen begleitet, die seit 1998 von 7.30 Uhr bis 13.30 Uhr geöffnet haben. Und damit das erprobt haben, was ab 2006 Mindeststandard an allen Berliner Grundschulen sein soll.
„Wir haben eine eindeutige Botschaft“, sagte FU-Professor Jörg Ramseger gestern bei der Vorstellung der Ergebnisse: „Die verlässliche Halbtagsgrundschule ist ein Erfolgsmodell.“ Die Zustimmung bei LehrerInnen, Eltern und SchülerInnen sei groß. „Allerdings“, so Ramseger weiter, „ruht die Verlässlichkeit häufig allein auf den Schultern der Erzieherinnen.“ Die LehrerInnen fühlten sich oft nur für ihren Unterricht, nicht aber für das Gesamtprojekt VHG verantwortlich. Genau das aber ist zentral: Die LehrerInnen und die neu an die Schule kommenden ErzieherInnen sollen Teams bilden und gemeinsam ihre Schule reformieren.
Denn bei der VHG geht es nicht nur um die Zeit, in der die Kinder verbindlich in der Schule betreut werden. Die Schule als Ganzes soll sich ändern. Teil des Modellprojekts war die Neugestaltung der Schuleingangsphase, also der Klassen eins und zwei, die mit dem neuen Schulgesetz flächendeckend eingeführt wird. Voll des Lobes sind die FU-Forscher für die Ideen und das Engagement der PädagogInnen, mit denen sie ihren Unterricht umkrempelten. Neue Fördermöglichkeiten und Lehrformen, wie Wochenplanarbeit, Projektunterricht und Gesundheitserziehung, wurden eingesetzt. Wenn man LehrerInnen fordert und unterstützt, sei vieles möglich, so das Fazit.
Eigentlich sollten in diesen Prozess auch die Vorklassen einbezogen werden, doch diese blieben meist separat. Vorklassen wird es – trotz des Protests von SchulleiterInnen und Eltern – ab dem kommenden Schuljahr nicht mehr geben. Ramseger und seine Kollegen weinen ihnen keine Träne nach: „Wir haben dort nur selten inhaltlich anspruchsvolle Arbeit gesehen“, so ihr Urteil. „Von wirklicher Bildungsarbeit kann man nicht sprechen.“
Besonders erfolgreich sei dagegen das jahrgangsübergreifende Lernen, das neun Schulen erprobt haben. Dabei lernen Kinder aus drei unterschiedlichen Klassenstufen gemeinsam. Die LehrerInnen müssen sich deshalb auf die Heterogenität ihrer SchülerInnen einlassen und Unterrichtskonzepte entwickeln, die allen Kindern gerecht werden. Also genau das tun, was Studien wie Pisa und Iglu von den PädagogInnen fordern. Das bedeutet für die LehrerInnen erhebliche Mehrarbeit, aber auch eine hohe Zufriedenheit, wie Ramseger beobachtet hat. Er hält das jahrgangsübergreifende Lernen für ein zukunftsweisendes Konzept, das es auszuweiten gilt. „Verordnen aber kann man das nicht“, sagt er. „Für manche Lehrer ist es einfach didaktisch zu anspruchsvoll.“ SABINE AM ORDE