: Auf der Suche nach der Generalpause
Ob man Frieden komponieren kann, fragen ein Symposium und eine Konzertreihe an der Bremer Hochschule für Künste, die Konfliktforscher Dieter Senghaas initiiert hat. Sinnlos ist das keineswegs – auch wenn die Antwort natürlich nur Nein lauten kann
Ruhe und Frieden gehören zusammen. Wahlweise darf man auch Stille sagen. Musik dagegen – vor allem die des Anderen – ist immer ein die Ohren penetrierender Angriff. Unentrinnbar wie Senfgas, wenn sie auch nur sehr langsam, oft erst mittelbar durchs Wecken suizidaler Wünsche, tötet. Sie verbreitet Angst und Schrecken – von den Posaunen Jerichos über die angeblichen Janitscharenklänge, die das Wien des 17. Jahrhunderts zittern ließen bis hin zu Sonarkanonen. Sie dient der Vertreibung von Junkies vom Hamburger Bahnhofsvorplatz. Sie macht aggressiv in öffentlichen Verkehrsmitteln. Und dass sie zur Folter benutzt wird, wissen wir auch nicht erst seit der Veröffentlichung der Guantánamo-Playlists.
Bei deren musikwissenschaftlicher Untersuchung hat Suzanne G. Cusick herausgefunden, dass völlig gleichgültig ist, welche Titel gespielt werden. Die Sesamstraßen-Melodie zermürbt genauso, wie Metallica. Ganz und gar unverdrossen aber fragt an der Bremer Hochschule für Künste vom 16. Januar an ein dreitägiges Symposium, ob man „den Frieden komponieren“ könne.
Nein, kann man nicht. Und dass das Symposium, initiiert vom namhaften Friedensforscher Dieter Senghaas, ausgerechnet der aus der klassischen Tradition hervorgegangenen so genannten „Neuen Musik“ gewidmet ist, unterstreicht das nur: Denn die goutiert allenfalls noch die kleinste Minderheit selbst innerhalb der Reste der Kulturbourgeoisie. Weit über 90 Prozent der Menschheit aber empfindet sie als grässlich bis entsetzlich. Krach. Lärm. Störung. Unfrieden eben.
Doch dass die Antwort auf der Hand liegt und selbstverständlich negativ ausfällt, macht eine Frage ja noch lange nicht sinnlos. Denn das heißt ja eben nicht, dass sich musikalisch keine utopischen Vorstellungen entwickeln ließen. Und dass es interessant sein kann, wie jeder einzelne Komponist in seinem musikalischen Idiom über Frieden nachdenkt, sprich: Wie er die Rücknahme des Geräuschpegels gestaltet. Bis hin zum Verstummen.
Grundsätzlich – das legen die Titel der Werke nahe – beschwört die Klangrede den Frieden als etwas Abwesendes. Und das gilt nicht nur für die Studenten von Programm-Organisatorin Younghi Pagh-Paan: „Krieg dem Krieg“ heißt, ironisch, das Werk von Joachim Heintz, das am ersten Kolloquiums-Tag uraufgeführt wird, „Ahínnu“ hat ihr ehemaliger Schüler Samir Odeh-Tamimi seine 2001 aus der Taufe gehobene Komposition betitelt. Übersetzt heißt das: Sehnsucht. Sie erklingt am letzten Tag. Dazwischen liegen etliche religiös-motivierte Friedensbitten – aus dem Fundus von Gegenwarts- und alter Musik, Vorträge über Themen wie „Schrei und Utopie“ bei einigen Großmeistern der zeitgenössischen Klangkunst, und auffällig viel Todesthematik: Frieden ist gleich Tod?, notiert man verstohlen. Und streicht’s vorsichtshalber durch. Wobei: In Westeuropa herrscht auf dem Friedhof grundsätzlich eins: Ruhe. BES
Den Frieden komponieren? Symposium und Konzerte, 16.–18. 1., Bremer Hochschule für Künste, Dechanatsstraße 13