Überschwängliche Vertrauensbeweise

Der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan wird in Griechenland fast wie ein alter Freund empfangen – als ob dieser erste Besuch seit Jahren Routine wäre. Hauptthemen: Die Zukunft Zyperns und der Wunsch der Türkei, der EU beizutreten

aus Istanbul JÜRGEN GOTTSCHLICH

Es war vor allem eine Geste des guten Willens und der politischen Vernunft. Lasst das Desaster auf Zypern nicht zu einer neuen Eiszeit zwischen der Türkei und Griechenland führen – das war die Botschaft mit der der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan am Donnerstagabend nach Athen kam und die von seinem griechischen Gegenüber Kostas Karamanlis erleichtert und erfreut aufgenommen wurde. Erstmals seit Jahrzehnten reist ein türkischer Ministerpräsident ins Nachbarland, doch es scheint, als sei alles längst Routine. Noch bevor das offizielle Programm begann, war Erdogan zusammen mit seiner Frau bei der Familie Karamanlis zu einem privaten Abendessen eingeladen, ein Zeichen, dass die beiden Ministerpräsidenten persönlich gut miteinander auskommen.

In der Sache ging es natürlich um die Zukunft auf Zypern, den Beginn von Beitrittsgesprächen der Türkei mit der EU und die alten Streitfragen der Hoheitsrechte in der Ägäis. Beide Regierungschefs legten nach ihren Gesprächen vor allem Wert auf die Feststellung, dass zwischen ihren Ländern ein neuer Geist der Verständigung herrsche. Griechenland, so Karamanlis, werde den türkischen Wunsch nach dem Beginn von Beitrittsgesprächen im Dezember nachdrücklich unterstützen. Konkrete Ergebnisse gab es jedoch noch nicht. Auf Fragen nach einem Ende der Isolierung Nordzyperns antwortete Karamanlis ausweichend. Er betonte, dass die Insel nach internationalem Recht insgesamt EU-Mitglied geworden sei, der Norden jedoch einen Sonderstatus habe und die EU ihn ökonomisch unterstützen werde.

Umgekehrt machte Erdogan keine konkreten Aussagen zur Lösung der Streitfragen innerhalb der Ägäis, betonte aber, dass im Geist der Kooperation eine Lösung gefunden werde. Das gelte auch für die Wiedereröffnung der griechisch-orthodoxen theologischen Hochschule in Istanbul, die seit 1974 geschlossen ist. Nach den politischen Gesprächen besucht Erdogan heute in Nordgriechenland Vertreter der türkischen Minderheit, die dort jahrzehntelang diskriminiert worden waren und erst in den letzten Jahren einige Anerkennung erfahren haben.

Während Erdogan in Athen für die Unterstützung einer türkischen EU-Mitgliedschaft warb, stimmte in Ankara das Parlament gestern abschließend zehn Verfassungsänderungen zu, die ebenfalls der Annäherung an die EU dienen. Dazu gehört die Abschaffung der Staatssicherheitsgerichte und die Einführung der parlamentarischen Kontrolle des Verteidigungsetats.

Darüber hinaus wurde die Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Verfassung verankert. Ein von vielen Frauenorganisationen und auch der parlamentarischen Opposition geforderter Zusatz, nachdem der Staat Gleichberechtigung durch Quotierung im öffentlichen Dienst und mit anderen Maßnahmen aktiv fördern soll und eine vorübergehende positive Diskriminierung von Frauen deshalb nicht gegen die Verfassung verstößt, wurde mit der Mehrheit der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP abgelehnt.

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