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Archiv-Artikel

Archipel der Emigranten

Die globalen Inseln: Fast dreißig Jahre nach der Unabhängigkeit der Kapverden ist deren Musikszene so weit gefächert, wie ihre ausgewanderten Bewohner über die ganze Weltkugel verstreut sind

Von Paris bis Lissabon: Die erfolgreichsten Künstler der Kapverden leben meist im europäischen Ausland

VON STEFAN FRANZEN

Auch wenn das Klischee von den pittoresken Strandbars, von denen die bittersüßen Klänge hinaus aufs Meer tönen, noch so schön ist: Kapverdische Musik, die sich auf ihre Traditionen beruft, entsteht heute eher in Paris, Rotterdam und Massachusetts als auf den Inseln selbst. Dort wird das Radio von kommerziellen Tönen dominiert, die sich an den tanzbaren Zouk von den Antillen anlehnen. Es braucht eben oft erst die Entfernung, um die heimatliche Kultur schätzen zu lernen.

Ein typischer Vertreter des kapverdischen Exils ist Teofilo Chantre. 27 Jahre hat der von der Insel São Nicolau stammende Gitarrist und Songschreiber im Ausland verbracht. Zunächst engagierte man ihn als Autor für die Lieder von Cesaria Evora, vor rund einer Dekade startete der heute 40-Jährige in Paris dann eine Solokarriere. Sein Quintett spiegelt die multinationale Realität seiner neuen Heimat wieder: „Tatsächlich bin ich selbst der Einzige in meiner Band, der von den Inseln stammt: Mein Geiger ist Vietnamese, der Schlagzeuger kommt aus Guinea“, sagt Chantre. Diese Offenheit ist Konzept: „Wir haben hier an die 20.000 Exil-Kapverdianer. Aber auch die Franzosen mögen meine Musik.“

Stilbildend für sein Gitarrenspiel sei der „legere Esprit“ der Bossa Nova gewesen. Die Songschreiber aus Brasilien rechnet Teofilo Chantre zur musikalischen „Familie“ – man teile schließlich gemeinsame Instrumente wie das Cavaquinho, und der langsame Stil der Morna-Balladen habe sich aus afrikanischen und brasilianischen Rhythmen entwickelt.

Neben den beiden Eckpfeilern Brasilien und Jazz macht Chantre auch die portugiesische Kolonialvergangenheit als Einfluss aus. So hat er viele Salontänze im Repertoire wie Valses oder auch die Mazurka, die auf São Vicente früher sehr populär war. Auf „Azulando“, seinem neuesten Album, kreisen etliche seiner Lieder um die Farbe Blau, um leuchtend blaue Kornblumen oder um den blauen Planeten, den es zu schützen gelte. Es ist aber auch eine Referenz zum auf den Kapverden allgegenwärtigen Meer.

„Flüssige, blaue Wüste“ als Synonym für den Ozean – solche Poesie kreiert auch Mário Lúcio Sousa, der sich als Postmodernist sieht: „In meinen Gedichten ist nicht ständig von Dürre, Traurigkeit oder Tod, Verlassenheit und Emigration die Rede. Ich will neue Konzepte, neue Metaphern“, stellt er klar – und setzt sich damit von der „Claridade“ ab, jener lange vorherrschenden kreolischen Literaten-Bewegung aus den 1920ern.

Seinen Versen kann man nicht nur in portugiesischsprachigen Gedichtbänden nachhorchen, sie erklingen ebenso in den Liedern der Gruppe Simentera, die Mário Lúcio Sousa auf Kriolu dichtet. Die neunköpfige Gruppe, der er vorsteht, ist in vielerlei Hinsicht eine Ausnahmeerscheinung. „Es war die Strategie der Kolonialherren, die afrikanischen Referenzen in unserer Musik zu unterdrücken. Erst nach der Unabhängigkeit haben wir gemerkt, dass wir mit einem kranken, völlig blinden Auge umhergelaufen waren. Simentera hat dieses Auge wieder geöffnet“, erläutert Mário Lúcio Sousa.

Simentera haben afrikanische Instrumente wie Djembé, Tamburine, Clave sowie die Batuco- und Tabanka-Rhythmen aus der Vergessenheit hervorgeholt und kombinieren sie nun mit kollektivem Gesang, ein innovativer Kniff. Bekäme die Tradition keine neuen ästhetischen Impulse, so Sousa, dann sei die Musik der Kapverden dazu verurteilt, zu reiner Exotik zu verkümmern.

Früher Drehscheibe des Sklavenhandels, heute Brennpunkt einer trikontinentalen Kultur-Métissage, so sieht er seine Heimat. Deshalb hat er für das neue Simentera-Opus „Tr’adictional“ prominente Namen aus allen Erdteilen versammelt, darunter Portugals Jazz-Ikone Maria João oder Senegals Reggae-Legende Touré Kunda.

Der wichtigste Aspekt an Mário Lúcios Arbeit jedoch: Er ist in der Heimat geblieben. Er brauche seine Insel Santiago mit all ihren Schwierigkeiten, sagt er, um überhaupt schaffen zu können: „Die Emigration wird die Kapverden niemals leeren“, so seine feste Überzeugung. „Meine emigrierten Landsleute verlieren nie ihre Leidenschaft für die Heimat. Andererseits“, schränkt er ein: „Selbst wenn wir eines Tages alles Geld besäßen, das wir woanders erwerben müssen, hätten wir trotzdem immer Lust, wegzufahren. Unsere Vorfahren kamen aus Afrika und Europa und da ist etwas, was uns ruft, andere Nationen zu besuchen. Cabo Verde ist ein Fenster.“

Auffallend ist schließlich, dass nun auch eine neue Generation von kapverdischen Frauen ins Rampenlicht tritt. Eine von ihnen stand bisher für Simentera am Mikrofon: Terezinha Araújo.

Ihr Soloalbum „Nôs Riqueza“ steht kurz vor der Veröffentlichung. Darauf stellt Terezinha Araújo ihre zarte, dennoch ausdrucksstarke Stimme in traditionelle Arrangements, die mit westafrikanischen Instrumenten wie Kora und Balafon bereichert wurden. Das verweist auf ihre Biografie, denn die Sängerin wuchs in Guinea auf.

Schon als Teenagerin wurde Terezinha Araújo vom Freiheitskämpfer Amilcar Cabral persönlich zum Singen von Rebellenliedern ermutigt, später wurde Miriam Makeba auf sie aufmerksam. Als Sängerin bereiste sie Westafrika, dann die ganze Welt. Der Zusammenhalt der lusophonen, also der portugiesischsprachigen Länder Afrikas ist ihr ein besonderes Anliegen.

Eher unpolitisch ist dagegen Lura veranlagt: Die in Lissabon geborene Sängerin, die auch schon im Backgroundchor von Cesaria Evora sang, verfolgte ehemals eine plakative US-Soul-Attitüde mit teils englischen Songs. Auf ihrer aktuellen CD „Di Korpu Ku Alma“ flicht sie nun afro-kapverdianische Rhythmen und kreolische Roots mit zeitgenössischem Pop-Vokabular.

Sowohl Teresinha Araújo als auch Lura werden Cesaria Evora international wohl nie den Rang ablaufen können. Doch sie garantieren auf ihre Weise, dass die kapverdische Musik keine Männerdomäne bleiben muss, wenn sich die barfüßige Diva eines Tages aus dem Musikgeschäft verabschieden wird.

Teofilo Chantre: „Azulando“ (Tropical Music/BMG); Simentera: „Tr’adictional“ (Mélodie/Fenn); Lura: „Di Korpu Ku Alma“ (Lusafrica/Sunny Moon); Terezinha Araújo: „Nôs Riqueza“ (www.malagueta-music.com)