: „Makeba war mein Idol“
Die Sängerin Angélique Kidjo aus dem Kleinstaat Benin ist einer der größten Stars des Kontinents: Ein Gespräch über afrikanische Frauen, weibliche Vorbilder und die musikalische Spur der Sklaven
INTERVIEW KNUT HENKEL
taz: Frau Kidjo, Sie sind die erfolgreichste Künstlerin Ihres Landes. Doch es heißt, Sie wollten ursprünglich Lehrerin oder Anwältin werden. Wie kam es, dass Sie sich für die Musik entschieden haben?
Ich habe mich gegen den Anwaltsberuf entschieden, weil ich mich dann mit der Politik hätte herumschlagen müssen. Die Arbeit einer Anwältin für Menschenrechte hat mehr mit Politik zu tun als sonst irgendetwas auf der Welt, und dafür bin ich nicht diplomatisch genug. Also habe ich es gelassen.
Und Lehrerin bin ich nicht, weil man für diesen Beruf eine Berufung haben muss. So habe ich mich eben für den Gesang entschieden.
Musik ist die Sprache, die wir alle sprechen. Mit Musik hat man gute Chancen, die Welt zu erreichen. Denn Gefühle kennen keine Sprache, haben keine Grenzen und keine Hautfarbe.
Ihr neues Album „Oyaya“ soll den dritten Teil einer Trilogie bilden. Sie haben es auf Kuba aufgenommen, mit Musikern vor Ort. Zuvor haben Sie auf „Black Ivory Soul“ 2002 brasilianische Stile erkundet und sich auf „Oremi“ dem R ’n’ B aus den USA angenähert. Was ist der rote Faden, der „Oyaya“ mit seinen Vorgängern verbindet?
Es ging mir nicht einfach darum, ein US-amerikanisch klingendes, ein brasilianisches und ein karibisches Album zu machen. Es ging mir darum, den Weg der Sklaven nachzuzeichnen, und ihre Bedeutung für die Entwicklung der Musik in den betreffenden Ländern und Regionen.
Harry Belafonte hätte nie der werden können, der er ist, wenn er nicht aus der Karibik gekommen wäre. Der Blues wäre ohne die Sklaven nie entstanden, und der Rock ’n’ Roll nicht ohne den Blues. Ohne die Trommeln der Sklaven hätte sich die Musik Brasiliens nie so entwickelt, und auch die kubanische Salsa-Musik hätte es ohne die Percussion nie gegeben.
Wie kamen Sie auf die Idee, den Weg der schwarzen Diaspora nachzuzeichnen?
Diese Idee hatte ich bereits, als ich neun oder zehn Jahre alt war! Zu der Zeit wurde auch mein Wunsch geboren, Menschenrechtsanwältin zu werden. Ich kann einfach nicht verstehen, weshalb ein Mensch einen anderen schlecht behandelt. Deswegen habe ich mich entschieden, den Spuren der Sklaven zu folgen. Ich wollte die Musik nutzen, um das gegenseitige Verständnis zu fördern.
Während der Arbeit an der Trilogie habe ich begriffen, dass eine ganze Reihe von Rhythmen in meinem Land stark beeinflusst sind von anderen Ländern. Zum Beispiel ist die Musik des Kongo stark von der Yoruba-Kultur beeinflusst, in deren Sprache ich selbst singe. Und die moderne kongolesische Rumba geht auf Einflüsse aus Kuba zurück, wohin viele Angehörige der Yoruba einst als Sklaven gebracht wurden.
Sie sind für die Aufnahmen zu „Oyaya“ sogar nach Kuba gereist. Wie war es dort für Sie?
Diese Reise hat mich in vielerlei Hinsicht beeinflusst. Ich habe dort alte Leute gesehen, die mit einem derartigen Enthusiasmus Musik gemacht haben, wie ich es sonst noch nirgendwo auf der Welt erlebt habe. Wenn sie spielen, verwandeln sie sich und sehen plötzlich jünger aus als ich. Die Hingabe zur Musik ist dort sehr stark.
Und noch etwas ist mir in Kuba bewusst geworden: Wie wichtig die Musik für die Menschen dort ist, um sich in diesem Land frei zu fühlen, in dem so viele Dinge verboten sind. Über die Musik drücken sich die Leute aus, machen auf sich aufmerksam: Sie mischen Salsa mit HipHop, mit Rock, mit Jazz und Reggae, und haben ihren Spaß dabei.
Sie sind für einen modernen, sehr poppigen Sound bekannt. Haben Sie sich auch mit der traditionellen Musik ihrer Heimat Benin beschäftigt?
Oh ja. Ich habe schon als kleines Kind die traditionellen Sänger in meinem Land befragt und gelöchert. „Wann, warum, wieso“, haben sie mich zu Hause immer genannt, weil ich dauernd irgendetwas wissen wollte. Die Leute und auch meine Eltern haben sich manchmal die Ohren zugehalten, wenn ich mal wieder mit einer neuen Frage ankam.
Hinter jedem Song verbirgt sich eine Geschichte – eine Lektion, die man lernen kann. Jedes Lied ist Teil einer gesellschaftlichen Geschichte.
Sie werden in ihrer Heimat Benin sehr verehrt: Es gibt dort sogar einen Angélique-Kidjo-Contest, und die beste Imitatorin wird ausgezeichnet. Was halten Sie davon?
Oh, das finde ich gut. Ich habe selbst auch mal so einen Preis erhalten, als ich klein war. Ich habe damals Miriam Makeba imitiert.
Waren Sie ein Fan?
Sie ist ein Idol für mich. Sie war die erste, bei der ich gedacht habe: Wow! Wenn das eine afrikanische Frau kann, dann möchte ich das auch können. Es ist ja nicht leicht für afrikanische Mädchen. Ich kenne keine Frau in der Welt, die freiwillig auch nur einen Tag mit einer afrikanischen Frau tauschen würde.
Ich hatte die Chance, mich für die Musik zu entscheiden. Die meisten Mädchen haben das nicht, weil ihre Eltern nicht richtig über die Zukunft ihrer Kinder nachdenken – ihnen fehlt oftmals die Bildung. Aber von der Bildung hängt alles ab. Deshalb arbeite ich auch für Unicef. Bildung ist die einzige Option, um aus diesem Kreislauf herauszukommen – einem Kreislauf, der zum Beispiel auch die Ausbreitung von Krankheiten wie Aids in Afrika befördert.
Viele Frauen und Mädchen wissen bis heute nicht, dass sie sich über ungeschützten Sex mit HIV infizieren können.
Solche Botschaften, Appelle tauchen auch immer wieder in Ihren Songs auf. Wollen Sie Ihr Publikum dazu anhalten, sich mit gesellschaftlichen Fragen auseinander zu setzen?
Wenn ich durch meine Musik die Leute zum Nachdenken anrege, freue ich mich. Aber ich mache nur die Musik, die ich liebe. Die Leute müssen selbst entscheiden, ob Ihnen meine Stücke gefallen oder nicht.
Als ich vor zwanzig Jahren nach Frankreich kam, war ich überrascht, dass es arme Leute in Frankreich gibt. Ich hatte gedacht, dass es Arme in so einem reichen Land nicht gebe. Aber warum erreicht die Armut auch die reichen Ländern? Warum wählen wir eine Regierung, die diese Verhältnisse toleriert? Die Menschen haben die Kraft, die Politik zu ändern – mit ihrer Stimme.
Denken Sie an den Irakkrieg und die Demonstrationen dagegen. Ich war damals in New York und habe an der Anti-Kriegs-Kampagne teilgenommen. Tausende waren auf den Straßen, um gegen den Krieg zu demonstrieren!
Sie treten in Afrika und in Europa auf. Gibt es Unterschiede, wie Ihre Musik vom Publikum aufgenommen wird?
Natürlich. In Benin ist ein Konzert ganz anders als in Europa, denn das Publikum spricht nun einmal meine Sprache, kennt meine Musik. Anderswo, in Frankreich etwa, werde ich gefragt, warum ich nicht in Französisch singe. Aber das Publikum reagiert bei jedem Konzert anders. Gerade das gefällt mir.
Sie lassen sich bewusst nicht auf einen bestimmten Musikstil festlegen. Was planen Sie als nächstes?
Oh, mein Geschmack ist vielfältig. Wenn ich mich für ein Genre entscheide, dann, weil es mir gefällt. Schon als Kind hatte ich die Möglichkeit, viele unterschiedliche Stile zu hören, das hat mich geprägt. Die Welt ist groß und das Leben zu kurz, um sich zu langweilen. Ich lasse mich nicht in eine Schublade sperren, nur weil ich Afrikanerin bin – vergiss es! Wenn ich morgen Lust habe, in Russisch zu singen, dann werde ich das tun.