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Archiv-Artikel

Brav auf die Mama hören

Venus Williams hat nach langer Verletzungspause den Spaß am Tennis wieder gefunden und erreicht in Berlin das Finale, zu dem sie allerdings wegen einer erneuten Blessur nicht antreten kann

AUS BERLIN MATTI LIESKE

Venus Williams lacht sehr gern über ihre eigenen Scherze. Und bei den German Open in Berlin war sie häufig zum Scherzen aufgelegt – zumindest bis sie sich im Halbfinale eine schwere Bänderdehnung zuzog, weshalb sie gestern zum Endspiel gegen Amelie Mauresmo nicht antreten konnte. „Ich bemühe mich, zu tun, was meine Mama sagt“, witzelte Williams zum Beispiel mit breitem Grinsen, das noch breiter wurde, als sie gefragt wurde, was die Mama denn so sage: „All die richtigen Sachen.“ Geradezu spitzbübisch blickte die 23-jährige Tennisspielerin drein, als sie, zu den Bombenanschlägen in Athen befragt, kundtat, dass sie kaum fernsehe: „Ich lebe in einer Welt, die nur aus Tennis besteht.“

Das hatte in der Vergangenheit völlig anders geklungen. Da war Venus Williams nicht müde geworden, von ihren vielen Interessen und Beschäftigungen zu schwärmen, Tennis kam eigentlich nur noch als marginaler Aspekt vor. Das Training sei so schrecklich langweilig, jammerte sie zum Beispiel nach ihrem Wimbledonsieg 2001, überhaupt sei die Sache mit dem Tennis ja bloß eine Idee ihres Vaters gewesen. Leidenschaft? Bewahre! Es sei eben einfach etwas, „was ich gut kann“. Das roch nach verschärfter Sportmüdigkeit und nahendem Karriereende, zumal sich Williams mit dem Abschluss einer Ausbildung als Innenarchitektin und der Gründung einer eigenen Innenarchitekturfirma entschlossen eine zweite berufliche Basis schuf.

Inzwischen ist jedoch keine Rede mehr davon, dem Tennis zu entsagen. Eher als ihre deutlich oberflächlicher durch das Leben schreitende Schwester Serena, die inzwischen viel Zeit mit dem Spielen kleiner Rollen in Fernsehserien verbringt, scheint Venus erkannt und akzeptiert zu haben, dass sie nirgends sonst so viel Erfolg, Glamour und Geld anhäufen kann wie im Tennis. „Ich setze keine Grenzen“, beantwortet sie nun die Frage nach der Dauer ihrer Tenniskarriere, glaubt aber, dass die lange Verletzungspause im letzten Jahr dazu beigetragen hat, sie zu verlängern. „Im Moment“, versichert sie, „macht mir Tennis mehr Spaß als die meisten anderen Dinge.“

Das war auch in Berlin zu erkennen, wo Venus Williams durchgängig vergnügt wirkte, obwohl sie in fast all ihren Matchs Schwerstarbeit verrichten musste. Ganz besonders beim 2:6, 6:3, 6:4-Sieg im Halbfinale gegen die 19-jährige Kroatin Karolina Sprem, die sie vorher kaum vom Hörensagen kannte. „So was heißt heutzutage nicht viel. Du musst bereit sein“, sagte sie nach dem Match. Der ungestümen Nachwuchskraft, die im dritten Satz bereits 3:0 geführt hatte, setzte die Kalifornierin vor allem ihre Erfahrung entgegen. „Ich verstehe das Spiel jetzt besser“, sagte sie, „ich weiß, dass ich nichts Spektakuläres machen muss, nur weil sie etwas Superspektakuläres macht.“ Sie habe sich einfach auf ihr Spiel konzentriert: „Ruhig bleiben, den Ball anschauen, schlagen, sich nicht aufregen.“ Auch das eine neue Fähigkeit im Repertoire der 23-Jährigen, die von sich selbst sagt: „Positives Denken ist eigentlich nicht meine Stärke.“

Als Venus Williams 1997 siebzehnjährig ihr erstes Wimbledon-Finale erreichte, zweifelte kaum jemand daran, dass die robuste junge Dame mit dem Ivanisevic-Aufschlag viele Jahre das Frauentennis dominieren würde. Es kam jedoch anders. 30 Turniersiege hat sie zwar seither angehäuft, die letzten dieses Jahr in Warschau und Charleston, die Grand-Slam-Bilanz ist mit vier Titeln jedoch eher mager. Dies liegt am Schwesterlein Serena, das sich als noch robuster erwies und ihr etliche Grand-Slam-Titel abspenstig machte, an vielen Verletzungen durch die kräftezehrende Spielweise und an der nachrückenden Konkurrenz, die sich dem Powertennis der Schwestern immer besser zu erwehren weiß. Die Belgierinnen Clijsters und Henin-Hardenne, die Französin Mauresmo, die Produkte des ewig sprudelnden russischen Talentquells wie Dementiewa, Petrowa oder Myskina.

Dass es nicht einfach sein wird, das erklärte Familienziel, die Rückeroberung der beiden ersten Weltranglistenplätze durch Venus und Serena, zu erreichen, zeigte sich auch beim glänzend besetzten Turnier in Berlin. Neben Karolina Sprem, die bewies, dass sie das Zeug zur Top-Ten-Spielerin hat, ließ vor allem die 17-jährige Russin Maria Scharapowa, die im Achtelfinale um ein Haar Jennifer Capriati bezwungen hätte, alle Anlagen einer künftigen Nummer eins erkennen.

„Wenn du Favorit bist, heißt das nicht, dass sie dir den Titel einfach so übergeben“, hat Venus Williams weise erkannt. Dass sie jedoch überhaupt wieder als Favoritin für die anstehenden Grand Slams in Paris und Wimbledon gehandelt wird, scheint ihr fast noch besser zu gefallen als die eigene Witzigkeit.