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Archiv-Artikel

Lass es Liebe sein

Triviale Liebesromane erobern beständig die Herzen der anderen Generation der 30-Jährigen. Ihr Versprechen: Schaumbäder für die Seele statt „Sex and the City“. Denn das Bedürfnis nach gänzlich unironischem Kitsch wächst

VON CLEMENS NIEDENTHAL

Manche Wörter mag Isolde Wehr besonders gerne. „Schmökern“ zum Beispiel, oder „Wohnzimmercouch“. Denn Isolde Wehr hat ziemlich viel geschmökert auf ihrer Wohnzimmercouch. „Zu guten Zeiten“, so erzählt sie, habe sie „Jahr für Jahr mindestens 120 Liebesromane verschlungen“. 1.600 davon hat sie auf ihrer Homepage vorgestellt. Weshalb sich die junge Frau gleich mal als „Deutschlands berühmteste Liebesromanleserin“ bezeichnet – was eigentlich gar nicht zu ihrem ansonsten unaufgeregten Auftreten passt. Auch nicht zu ihrer zurückhaltenden Kurzhaarfrisur.

Isolde Wehr sieht aus wie eine gewöhnliche Dreißigjährige. Nur eben nicht wie die gewöhnlichen Dreißigjährigen, die Madonna um ihre Fitness beneiden und ihr eigenes Leben aus Serien wie „Sex and the City“ zu kennen glauben. Isolde Wehr kennt „Sex and the City“ nicht einmal richtig. Dafür kennt sie „Skandal im Ballsaal“, ihren ersten Liebesroman, damals mit fünfzehn. Im Jugendzimmer verschlungen und noch nicht auf der Wohnzimmercouch. Es sollte nur ein Anfang sein.

Inzwischen hat es Isolde Wehr von der Liebesromanlektüre zum eigenen Liebesromanverlag gebracht. Der heißt „Moments“ und veröffentlicht seit wenigen Monaten Liebesgeschichten im für die Branche ungewohnten Hardcover, dafür aber mit der branchenüblichen „Happy-End- Garantie“.

Und weil Isolde Wehr selbst ja ihre beste Kundin ist, hat sie sich für das Titelfoto ihres Verlagsprospekt eine gehörige Portion Weichzeichner spendiert und auf einer ebenso flauschigen Flanelldecke Platz genommen. Im Haar eine hellblaue Lesebrille, in den Händen einen rosaroten Roman. „Zeit für Gefühle“ steht in verschlungener Schrift daneben. So verschlungen, dass man nicht wirklich glauben mag, dass zwischen den Buchdeckeln tatsächlich Gefühle aufgehoben sein könnten.

Höchstens etwas, was sich unter bestimmten Umständen ganz ähnlich anfühlt. Ein lindernder Ersatzstoff, garantiert frei von unerwarteten Nebenwirkungen.

Genau um jene Zeit für Gefühle ging es an diesem Wochenende auf der zweiten „Booklovers Conference“, einer Tagung von Liebesromanfans und -autorInnen, in einem Wiesbadener Kongresshotel, hoch über dem pittoresken Kurpark und weit weg von Literaturfeuilletons und Bestenlisten. Und es ging um so etwas wie Selbstverortung, ja mithin um das Selbstbewusstsein eines Genres, das zwar beständig an Marktmacht gewinnt, noch aber vergeblich auf einen Imagetransfer wartet.

Denn der einmal so genannte Groschenroman wird eben immer noch mit jenen assoziiert, bei denen der Groschen angeblich etwas langsamer fällt. Zumindest aber mit jenen, denen einfach Ausgedachtes lieber ist als die stetig komplexer werdende Wirklichkeit.

Der Groschenroman kommt heute zum Beispiel aus einem Hamburger Verlagshaus mit dem femininen Namen Cora – einem Jointventure von Axel Springer und dem kanadischen Harlequin-Verlag – und kostet am Bahnhofskiosk 2,20 Euro. 20 Millionen mal gingen die 750 veröffentlichten Heftromane aus den Verlagsreihen Julia, Romana, Bianca oder Tiffany vergangenes Jahr durch die Kioskluke. Gekauft, so vermutet es zumindest Ilse Röhl, Redaktionsleiterin von Cora, „von der demografischen Mitte unserer Gesellschaft“.

Und weil dem so sein soll, hat sich die Redaktionsleiterin auch gleich ein plastisches Käuferbeispiel zurechtgelegt: Die 39-jährige Susanne, eine ebenso erfolgreiche wie glücklich verheiratete Kauffrau, die sich alle vierzehn Tage ein „Schaumbad für die Seele“ gönnt – denn „zweimal im Monat ist mittwochs Cora-Tag“.

Was ein wenig klingt wie die „Man gönnt sich ja sonst nichts“- Dialektik aus der Aquavit-Werbung. Der Schund-, Verzeihung: Liebesroman sorgt, in Maßen genossen, weder für ästhetische noch für intellektuelle Magenverstimmungen.

Überhaupt lesen sich hier keine Realitätsflüchtlinge weg aus der Welt, sondern höchstens für ein paar Stunden hinaus aus dem Alltag. Und das wäre dann, so Liebesromanfan Ralf Pispers, ein quasi subversiver Akt: „In dieser Gesellschaft gehört Mut dazu, Zeit auf diese Weise bewusst zu verschwenden.“ Ein Statement, mit dem Pispers, einer der seltenen männlichen Fans trivialer Liebesliteratur, in Wiesbaden ein gern gesehener Teilnehmer einer Podiumsrunde war. Als reflektierter, manchmal gar selbstironischer Konsument – die Ausnahme, aus der man gerne eine Regel statuieren würde.

Dabei sehen die Regeln in diesem Genre anders aus. Von diesen Regeln liest man in Büchern, die „Einzig dir gehört mein Herz“ heißen, oder „Der Verführer im Kilt“. Und die von Autorinnen geschrieben wurden, die sich dann Michelle Raven nennen, oder Liza Kent. Namen, so künstlich wie die Geschichten, die sie erzählen.

Es sind fantastische Geschichten, deren Fantasie doch Grenzen gesetzt sind – zu deutlich sind die Vorgaben der Verlage, zu klar die Erwartungen der Leserinnen: Ein Aschenputtel liebt seinen Prinzen. Der allerdings hat noch ein Abenteuer zu bewältigen, sei es ein Kampf gegen die Mächte des Bösen oder auch nur der ganz gewöhnliche Alltag.

Man könnte es sich an dieser Stelle einfach machen und die Erwartungen der Leserinnen zu Nichterwartungen erklären. Der triviale Liebesroman als Friedrich Nietzsches ewige Wiederkehr des immer Gleichen. Als Endlosband einer einmal komponierten Schlagermelodie, selten in Moll, meistens in Dur. „Wie angle ich mir Dieter B.“ heißt nicht umsonst einer der erfolgreicheren Titel des vergangenen Liebesromanlesejahres.

In letzter Zeit immerhin – so weiß es Liza Kent, die im normalen Leben Marte Cormann heißt und als solche auch Vorsitzende der Vereinigung deutschsprachiger Liebesromanautoren und -autorinnen (DeLiA) ist, sei es immer häufiger die Frau, die sich ihres Helden bemächtigt und „einfach mal die Initiative ergreift und sich nimmt, was sie kriegen will“.

Ausgerechnet eine wie Bestsellerautorin Ildikó von Kürthy („Freizeichen“, „Mondscheintarif“) wähnt Cormann dabei an der Spitze jener emanzipatorischen Bewegung.

Aber da haben dann selbst gestandene Liebesromanfans etwas dagegen, sei doch Kürthys gemeinplatzierte Lebensstilprosa „viel, viel flacher als die Heftromane, die ich mir gerne am Kiosk hole“. Die Leserin, die das gesagt hat, will ihren Namen freilich nicht preisgeben. Denn mit den Heftromanen verhält es sich noch immer wie mit der viel zitierten Heino-Platte: Man hört sie, man liebt sie – und meint doch gleichzeitig, sich dafür schämen zu müssen. Bei den Romanen zumindest deshalb, weil „die Umschlaggestaltung immer noch nicht straßenbahntauglich ist.“ Auch so eine Sache, gegen die die Booklovers Conference Meinung machen will.

Die Heftromane, mithin die triviale Liebesliteratur ist nicht camp im Susan-Sontag’schen Sinne: kein selbstbewusst ausgestellter Kitsch. Selbst zwischen den Zeilen treibt ihre Fangemeinde kein ironisches Spiel mit den Zeichen und Dingbedeutungen. Hier erklärt niemand den Text zum Kitsch und den Kitsch zur Kunst. Hier verklärt man wahrscheinlich nicht einmal den Text zur Welt. Campy war vielleicht ein Guildo Horn und sind es heute Rosenstolz. Die Bücher von der Booklovers Conference aber halten es eher mit Andrea Berg oder Pur. Sie erzählen von einem Abenteuerland, in dem niemand die Orientierung verliert.