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Archiv-Artikel

Eine Politik der verbrannten Erde

UN-Bericht spricht von „Terrorherrschaft“ und „ethnischen Säuberungen“ im Sudan. Die Kriegsverbrechen der Armee und verbündeter Milizen geschähen unter aktiver Mittäterschaft der Regierung. Menschenrechtler hoffen auf Intervention

„Es besteht die reale Möglichkeit einer humanitären Katastrophe“

VON DOMINIC JOHNSON

Die Regierung des Sudan gerät unter massiven internationalen Druck, den Terror gegen die Zivilbevölkerung in der westsudanesischen Region Darfur zu beenden. Von „Terrorherrschaft“ und „ethnischer Säuberung“ ließen sich am Freitag in New York die Mitglieder des UN-Sicherheitsrates berichten, und die häufigen Vergleiche des Krieges in Darfur mit dem Völkermord in Ruanda vor zehn Jahren führen zu Interventionsforderungen. An direktes militärisches Eingreifen im Sudan denkt zwar unter den militärisch handlungsfähigen Staaten niemand und dem Rat lag auch keine Resolutionsentwurf vor. Aber die immer detaillierteren Berichte über massive Kriegsverbrechen der Armee und verbündeter Milizen werden kaum folgenlos bleiben können.

„Erstens gibt es in diesem Gebiet eine Terrorherrschaft“, stellte Bertran Ramcharan, Chef der UN-Menschenrechtskommission, am Rande der Sicherheitsratssitzung klar. „Zweitens gibt es eine Politik der verbrannten Erde. Drittens gibt es wiederholte Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Viertens geschieht dies vor unseren Augen. Die Regierung (des Sudan) hat die Milizen unterstützt und organisiert, und dies findet mit dem Wissen, der Unterstützung und der aktiven Mittäterschaft der Regierung statt.“

Ramcharan fasste die Ergebnisse einer Untersuchungskommission der UN-Menschenrechtskommission zusammen, die im April unter Darfur-Flüchtlingen im Tschad und vom 20. April bis zum 3. Mai in Sudan recherchiert hatte. In Darfur kämpfen seit Anfang 2003 die Rebellenbewegungen SLA (Sudanesische Befreiungsbewegung) und JEM (Bewegung für Gerechtigkeit und Gleichheit) gegen die Benachteiligung der schwarzafrikanischen Bauernbevölkerung durch die Regierung. Die Regierung bekämpft die Rebellen mit Hilfe arabischstämmiger Milizen, die alle Menschen vertreiben, die als Unterstützer der Rebellen in Frage kommen.

Der Bericht der UN-Ermittler beschreibt aufgrund der Aussagen von Flüchtlingen und Überlebenden, wie das abläuft: Auf Luftangriffe auf Dörfer folgen Angriffe der Bodentruppen – entweder Soldaten, in Armeefahrzeugen oder mit Milizionäre auf Pferden und Kamelen. Schwer bewaffnet stecken die Angreifer Hütten und Lebensmittelvorräte in Brand und töten die männliche Bevölkerung – Frauen und manche Kinder werden zurückgelassen und müssen fliehen. Der UN-Bericht verlangt eine förmliche internationale Untersuchung, da seine Autoren keine direkten Beweise für diese Kriegsverbrechen haben, sondern auf Augenzeugenberichte angewiesen waren.

Eine erste Version des UN-Berichts, der sich allein auf Interviews mit Darfur-Flüchtlingen im Tschad stützte, hatte die UN-Menschenrechtskommission letzten Monat zunächst zurückgehalten, damit diese den Sudan nicht zu hart verurteilt. Die Kommission äußerte sich nur besorgt über die humanitäre Lage in Darfur und wählte Sudan erneut zu einem ihrer Mitglieder, worauf die USA – die das Land seit zehn Jahren mit Sanktionen belegt haben – mit einem Boykott der Wirtschafts- und Sozialkommission der UNO reagierten.

Der neue UN-Bericht ist schärfer als der erste und liegt dem handlungsfähigen UN-Sicherheitsrat vor. So hoffen Menschenrechtler jetzt auf eine Dynamik in Richtung Eingreifen. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) veröffentlichte zur Ratssitzung einen Bericht mit dem Titel „Darfur Destroyed“, wo Massaker aus der Zeit zwischen September 2003 und Februar 2004 mit 770 Toten aufgelistet werden. Insgesamt hat der Krieg in Darfur nach UN-Schätzungen über 10.000 Tote gefordert und über eine Million Menschen in die Flucht getrieben, rund 130.000 davon in den Tschad.

Ein am 8. April vereinbarter Waffenstillstand in Darfur wird nicht eingehalten, und letzte Woche flammten die Kämpfe erneut heftig auf. „Seit August sind weite Landstriche der Siedlungsgebiete der Massalit- und Fur-Völker, die zu den fruchtbarsten der Region gehören, verbrannt und entvölkert worden“, schreibt HRW – die Massalit und Fur gelten als Unterstützer der Darfur-Rebellen. „Mit wenigen Ausnahmen ist diese Landschaft nun von ihren ursprünglichen Bewohnern geräumt worden.“

Die deutsche Staatssekretärin im Auswärtigen Amt, Kerstin Müller sprach vor dem UN-Sicherheitsrat von „ethnischer Säuberung“ und forderte: „Der Sicherheitsrat muss der sudanesischen Regierung ein klares Signal geben, dass Angriffe von Milizen auf die Zivilbevölkerung sofort aufhören müssen.“

James Morris, Chef des UN-Welternährungsprogramms WFP, wählte eine Sprache, die Interventionsspezialisten in der UNO besser verstehen: „Es besteht die reale Möglichkeit einer humanitären Katastrophe mit erheblichen Implikationen für Frieden und Sicherheit in der Region und der Perspektive zehntausender Toter.“ Das ist fast die gleiche Formulierung, die 1991 zum humanitär begründeten US-geführten internationalen Militäreinsatz in Somalia führte.