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Archiv-Artikel

Zivil gefördert, militärisch wertvoll

Europäischer IPPNW-Kongress diskutiert Zusammenhänge zwischen der AKW-Förderpolitik und der Entwicklung nuklearer Waffensysteme. Organisation warnt vor „Nuklear-Handel“ mit Russland und der Privatisierung des Atomkriegs durch die USA

AUS BERLIN FELIX LEE

Wie kommt ein Staat in den Besitz von Atomwaffen? Entweder kaufen, stehlen – oder selber bauen. Am Anfang eines solchen Eigenbaus, sagt die IPPNW-Abrüstungsexpertin Xanthe Hall, steht dabei fast immer ein ganz ziviles Atomenergieprogramm. „Atomenergie und Atomwaffen in einer instabilen Welt“ hieß folglich auch das Thema des Europa-Kongresses der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs in Berlin.

Die Zulässigkeit dieser Verbindung von ziviler Nutzung und militärischen Folgen ist innerhalb der IPPNW umstritten. Während Atomgegner in Deutschland oder den USA die zivile Nutzung von Atomenergie und die Entwicklung von Nuklearwaffen schon seit langem als „zwei Seiten einer Medaille“ ansehen, sehen skandinavische IPPNW-Vertreter hierin eine „undifferenzierte Vermischung unterschiedlicher Themen“.

Hall verwies dagegen auf Beispiele wie Israel, Indien, Pakistan, Südafrika und möglicherweise Nordkorea, die über diese Schnittstelle ein Nukleararsenal aufbauen konnten, und hinterfragte die Rolle der Internationalen Atomenergiebehörde IAEO: Sie solle einerseits die Verbreitung von Atomwaffen verhindern, fördere andererseits aber die zivile Atomenergie: „Die Geschichte zeigt doch deutlich, dass diese Förderung von vielen Ländern ausgenutzt wurde, um heimlich an Atomwaffen zu gelangen“, so Hall. 15 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges hat sich nach Analysen der IPPNW die nukleare Bedrohung weltweit keineswegs verringert. Zum einen sind die bestehenden Sprengkopfarsenale der USA und Russland weiterhin aufeinander gerichtet, sodass binnen wenigen Minuten eine Millionenstadt wie New York ausradiert werden könnte. Zum anderen bereiteten sich die USA für kommende Kriege klar auf den Einsatz von Atomwaffen vor. Der kanadische Globalisierungskritiker Michel Chossudovsky sagte, es gebe eindeutige Hinweise darauf, dass große Rüstungsfirmen an der Planung solcher Operationen beteiligt seien: „Dies ist gleichbedeutend mit der Privatisierung des Atomkriegs“, so Chossudovsky.

Private Industrieinteressen bestimmen auch die Atomenergiepolitik. IPPNW-Vorstand Angelika Claußen verwies auf die Zufriedenheit der deutschen AKW-Betreiber mit dem „Atomkonsens“. Dafür stehe der „Nuklearhandel“ zwischen der westlichen Atomindustrie und Russland unmittelbar bevor: „Die Genehmigungen zur Beförderung von radioaktiven Materialien für Ostseehäfen sind bereits erteilt“, sagte die russische Wissenschaftlerin Lydia Popova.

Bei den US-Kriegsplänen geht es vor allem um die so genannten Mininukes, einer neuen Generation von Atomwaffen, die angeblich „für Zivilisten sicher“ seien, aber nach dem Einsatz im Golfkrieg 1991 für um das elffach gestiegene Leukämie-Raten bei Kindern geführt hätten.

Dazu bedarf es übrigens keines Krieges, wie die Häufung von Leukämie-Erkrankungen am AKW-Standort Krümmel bei Geesthacht zeigt. Auch das war Thema des Kongresses – und ein weiterer Beleg für die zwei Seiten derselben Medaille.