: Peter Pan gründet Europa neu
Der Italiener Fausto Bertinotti ist ein brillanter Rhetoriker und ein Medienliebling. Und er ist der erste Vorsitzende der Partei der Europäischen Linken
AUS ROM JENS KÖNIG
Fausto Bertinotti hat man in Italien einmal den roten Peter Pan genannt. Ein Kommunist, der nicht erwachsen werden will und sich vor der Verpflichtung drückt. Bertinotti, radikaler Chef der Rifondazione Comunista, hat 1997 wegen einer geplanten Rentenreform die gemäßigte Mitte-links-Regierung von Romano Prodi zum Scheitern gebracht. Kurze Zeit später war Berlusconi an der Macht.
So einer passt natürlich gut zur neuen Partei der Europäischen Linken. Die Genossen Kommunisten und Sozialisten wollen keine Kompromisse machen. Sie träumen von einem anderen Europa. Dort soll es ein bisschen so sein wie in Peter Pans Nimmerland, zauberhaft und ewig schön. Dieses andere Europa soll demokratisch sein, sozial, ökologisch, feministisch und natürlich friedlich. Bertinotti ist der ideale Chef dieser neuen Linkspartei. Er ist ein Medienliebling, der bestgekleidete Kommunist westlich des Urals und ein brillanter Rhetoriker.
Als Bertinotti am Sonnabend sein Grundsatzreferat hält, könnte man fast den Eindruck gewinnen, hier im Aurelia Convention Centre in Rom werde gerade Weltgeschichte geschrieben. Von der „Wiedergeburt einer neuen Arbeiterbewegung“ spricht Bertinotti, von einem „neuen historischen Kapitel im Kampf gegen den Kapitalismus“, von einer „kulturellen Neugründung unserer Geschichte“. Die neue Europäische Linkspartei macht er flugs zu einem Bestandteil der weltweiten globalisierungskritischen Bewegung. „Genua“ und „Porto Allegre“, ruft Bertinotti bedeutungsschwer. „Wir bringen hunderttausende auf die Straße. Die New York Times hat uns gerade zur Weltmacht erklärt.“
Weltmacht – das gefällt den Kommunisten aus San Marino und Österreich. Zu Hause sind sie Null-Komma-noch-was-Parteien. Die deutschen Genossen von der PDS – mit knapp fünf Prozent der Wählerstimmen zählen sie schon zu den Schwergewichten der Linkspartei – rollen bei so viel Revolutionspathos zwar ein wenig mit den Augen, weil sie ihre ostdeutsche Arbeiterklasse ganz anders in Erinnerung haben, aber ihr Parteichef Lothar Bisky lässt sich auch von der Beschwörung des historischen Augenblicks hinwegtragen. „Das alte Europa ist von oben gekommen“, sagt Bisky. „Das neue Europa wird die Politik aus den Hinterzimmern der Macht zurückholen.“
Bei so viel Wiedergeburt tut man gut daran, von Zeit zu Zeit vor die Tür des Aurelia Centre zu treten, um sich zu vergewissern, dass die komplizierte Welt da draußen immer noch die alte ist.
Aber bei aller Träumerei, die 15 Parteien aus 13 Ländern, die sich in Rom zusammengeschlossen haben, eint ein durchaus ehrenwertes Anliegen: Sie wollen die Linke in Europa aus ihrer strategischen Defensive herausholen. Um ihren Anspruch nach etwas ganz Neuem zu untermauern, gründen sie nicht nur – wie die Grünen – einen Dachverband, sondern eine eigenständige europäische Partei. Mitglied werden dürfen nicht nur nationale Parteien, sondern auch Einzelpersonen, die von ihren Parteien zu Hause nichts halten.
Die Europäische Linkspartei hat in Rom jedoch keine Antwort darauf gegeben, worin ihre eigenständige Politik bestehen soll. Bisher eint sie nur, dass sie gegen Krieg ist, jede Art von herrschender Regierungspolitik in Europa unterschiedslos als neoliberal verteufelt und den Maastricht-Vertrag ablehnt. Was daraus folgt, worin etwa eine „linke Wirtschafts- und Finanzpolitik“ besteht, was die Partei feministisch macht, wenn fast nur Männer um die sechzig reden – da hüllen sich die Linken lieber in gewaltige Wortnebel.
Sie sind sich ja nicht mal einig darüber, wo sie herkommen. Als die Kommunistische Partei Böhmens und Mährens den Antrag stellt, im Statut das Wort „stalinistisch“ zu streichen und lieber nur von „undemokratischen Praktiken“ zu sprechen, die im Namen des Kommunismus begangen worden seien, kommt es zum Eklat. Die Mehrheit lehnt den Antrag ab. Das Statut wird angenommen. Plötzlich entert ein tschechischer Kommunist das Podium und brüllt, Stalin habe 1945 die Tschechen befreit und die Deutschen verjagt, jetzt jedoch drohe in seinem Land durch die Vertriebenenverbände eine neue Germanisierung. Ein spanischer Genosse entgegnet kühl: „Befreit hat euch die Rote Armee. Stalin hat euch umbringen lassen.“ Die Tschechen lachen höhnisch. Sie verlassen protestierend den Saal.
Drinnen wird die Geburt der neuen Partei ohne sie gefeiert. „Bella Ciao“ singen sie. Bertinotti reckt seine Faust in die Luft.