: Ansage mit eingebauter Spende
„Gulliver“, die Überlebensstation für Obdachlose unter dem Kölner Hauptbahnhof, will mit einem Literatur-Telefon Spenden einsammeln. Zu hören sind Texte, die von Berbern gesprochen werden
Von Susanne Gannott
„Manchmal kriegst du ein paar aufs Maul, manchmal bin ich nüchtern, manchmal besuch‘ ich dein Grab...“ Rund 30 solcher Sätze hat der Düsseldorfer Künstler Klaus Sievers von Kölner Obdachlosen auf Band sprechen lassen – für das Gulliver-Literatur-Telefon. Unter der Nummer 0900/505 00 55 kann man seit Ende vergangener Woche die von Höhner-Schlagzeuger Janus Fröhlich moderierte Spruchsammlung anhören. Das kostet 2 Euro, wovon der „größte Teil“ der Überlebensstation für Obdachlose „Gulliver“ zugute kommt.
Über ein Jahr habe Sievers mit verschiedenen Telekommunikationsfirmen „zähe Verhandlungen“ geführt, erzählt die „Kunstbeauftragte“ des Gulliver, Elvira Reidt. Denn die Firmen hätten zunächst einen unangemessen hohen Betrag für sich behalten wollen. Aber schließlich sei die bundesweit erste Telefonansage mit eingebauter Spende Dank eines engagierten Mitarbeiters bei der Telekom doch noch Realität geworden.
„Die Idee dahinter ist, dass der Anrufer zumindest indirekt in Kontakt mit Obdachlosen tritt“, erklärt Sievers, der die Texte für die erste Aufnahme geschrieben hat. Schließlich hätten Berber und „Banker“, wie die „Normalbürger“ mit Girokonto von vielen Obdachlosen genannt würden, sonst kaum etwas miteinander zu tun, ergänzt Janus Fröhlich. Und wenn doch, dann seien solche Kontakte meist negativer Art: Schon optisch und olfaktorisch würden „Penner“ oder „Bettler“ von den meisten Menschen als störend empfunden. Diesen Eindruck werde man durch das Literatur-Telefon vielleicht positiv korrigieren, hofft Pfarrer Karl-Heinz Iffland. Aber vor allem will der Vorsitzende des Trägervereins KALZ e.V. mit dem Literatur-Telefon zusätzliche Spendengelder einsammeln. „Das ist für uns besonders in diesen Tagen wichtig, weil die derzeitigen politischen Diskussionen die Leute verunsichern und sie überall sparen.“
Und auch die Obdachlosen selbst hätten was von dem Projekt, hofft Sievers, der für die nächsten Aufnahmen deren eigene Texte verwenden will. „Einige sind schon entstanden, damit arbeiten wir jetzt.“ So kämen die Teilnehmer ins Nachdenken und Diskutieren – über ihr Leben, ihre Hoffnungen, ihre Ängste. Außerdem sei es gut fürs Selbstwertgefühl, wenn man „für was nütze ist“, ergänzt Bernd Hicker, verantwortlicher Leiter der Überlebensstation. Schließlich helfen die Obdachlosen mit ihrer Aktion dem Gulliver.
Und mehr Geld kann die Station in einem Bahnbogen unter dem Hauptbahnhof in der Trankgasse gut gebrauchen. Rund 49.000 Mal wurde sie im vergangenen Jahr besucht, meist von Menschen, die rund um den Hauptbahnhof leben, erzählt der KALZ-Geschäftsführer Thomas Münch. Sogar Kinder, die am Bahnhof anschaffen, kämen in die Station, die täglich von 6 bis 22 Uhr geöffnet hat. Hier können sie duschen, ihre Wäsche waschen und trocknen, auch mal tagsüber im Warmen schlafen oder im Café etwas essen und trinken. Zwar müssen die Besucher alles – außer der Toilette – bezahlen, denn „für die Leute ist wichtig, dass es kein Almosen ist“, sagt Münch.
Aber mit 50 Cent fürs Duschen oder 1,50 Euro für ein komplettes Frühstück seien natürlich noch nicht einmal die Unkosten gedeckt. Immerhin zahlen Stadt und Arbeitsamt die monatlichen Grundkosten: rund 3.000 Euro für Miete und Strom sowie die Gehälter der Angestellten. Neben Bernd Hicker sind das eine Sozialpädagogin und 10 Stellen aus dem Programm „Hilfe zur Arbeit“, mit dem Obdachlosen der Wiedereinstieg in ein „bürgerliches Leben“ ermöglicht werden soll. Wem das zu viel ist, etwa weil er als Drogenabhängiger mit einem regelmäßigen Arbeitsalltag gar nicht zurecht kommt, der kann im Gulliver aber auch als „Tagelöhner“ anheuern und so wenigstens ein bisschen Geld verdienen. Diese Stellen seien allerdings durch die Hartz-Gesetze in Gefahr, erklärt Münch. Zwar habe die Sozialdezernentin versprochen, dass es weitergehen soll mit dem Gulliver wie bisher. „Aber das versprechen die ja immer.“
Gulliver-Literatur-Telefon: 0900/505 00 55, 2 Euro pro Anruf