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Archiv-Artikel

Die nachrevolutionäre Gesprächsrunde

Im Innenausschuss erzählen Abgeordnete ihre Version des 1. Mai. Polizei bekommt Lob von der Opposition. Denn jedes Ritual muss mal ein Ende haben, meint Wieland (Grüne) und verabschiedet sich nach Brandenburg

Friede, Freude und Konfekt. Noch nie waren sich die Abgeordneten im Innenausschuss bei der parlamentarischen Nachbereitung eines 1.-Mai-Einsatzes so einig wie diesmal. Dass die Regierungskoalition das Vorgehen der Polizei abnickt, ist nicht verwunderlich. Aber die Opposition? Zwei Stunden lang heimsten Polizeipräsident Dieter Glietsch und Innensenator Ehrhart Körting (SPD) Komplimente für den mit viel Fingerspitzengefühl geführten Einsatz ein.

Eigentlich sollte man davon ausgehen, dass eine Ausschusssitzung, die am 10. Mai stattfindet, nichts Neues über den 1. Mai zutage fördert. Schließlich haben Glietsch und Körting ausführliche Interviews zu dem Thema gegeben. Aber für Politiker wie den innenpolitischen Sprecher der FDP, Alexander Ritzmann, erfüllt der Ausschuss eine wichtige Funktion. Wo sonst kann man seine ganz persönlichen 1.-Mai-Erlebnissse zum Besten geben? Nicht nur die Geschichte vom Punk mit dem Pflasterstein im Rucksack, den der im Baumarkt gekauft haben will. Auch die von dem PDS-Abgeordneten Freke Over, der sich am 1. Mai mutig der NPD in den Weg gestellt hat. Wie berichtet hat Over Strafanzeige gegen einen Polizisten aus Nordrhein-Westfalen erstattet, der ihm an der Demostrecke am Ohr verletzt hat.

Over als unschuldiges Opfer eines Polizeiübergriffs? Ritzmann will anderes gesehen haben: Bei dem Versuch der Polizei, die Straßenblockade gegen die NPD aufzulösen, habe sich Over den Polizisten mehrfach entgegengeworfen, habe aber, wenn es kritisch wurde, schnell mit seinem Abgeordnetenhausausweis gewedelt. „Das“, so Ritzmann vollmundig, „ist an der Grenze dessen, was für einen Parlamentarier angemessen ist.“ Später in Kreuzberg, auf einer Bühne am Mariannenplatz, habe Over die Stimmung „versucht aufzuheizen“, in dem er vor versammelter Menge von einem gewaltsamen Vorgehen der Polizei gegen 1.000 Antifaschisten berichtet habe. Deeskaltion müsse auch von Politikern ausgehen, forderte Ritzmann und kündigte an, zu dieser Frage das Gespräch mit Over suchen zu wollen.

Was der Over dem Ritzmann, ist dem innenpolitischen Sprecher der Grünen, Wolfgang Wieland, Frank Henkel (CDU). Statt mäßigend zu wirken, so Wielands Vorwurf, habe Henkel die Stimmung im Vorfeld verbal angeheitzt, indem er für den Fall, dass die revolutionäre 1.-Mai-Demonstration am Leipziger Platz starten dürfe, einen Steinhagel vorausgesagt habe.

Mit dem Vorgehen der Polizei zeigte sich Wieland dagegen ausgesprochen zufrieden. „Eine neue, sehr erfreuliche Erfahrung“ sei für ihn gewesen, dass sich die Berliner Polizeieinheiten in Kreuzberg wesentlich besonnener verhalten hätten als die Unterstützungskräfte aus anderen Bundesländern. „Das war lange anders.“ Deshalb sei es auch das größte Komplimemnt, das er der Berliner Polizei machen könne. Vielleicht, so Wielands Hoffnung, klappe es im Jahr 2006, den 1. Mai ohne Krawalle durchzuführen. „Jedes Ritual muss ein Ende haben, weil alles ein Ende hatte“, sagte der grüne Innenexperte, der gestern das letzte Mal am Innenausschuss teilnahm. Nach 13 Jahren Berliner Politik geht Wieland nächsten Montag nach Brandenburg. Zum Abschied spendierte er eine runde Konfekt.

PLUTONIA PLARRE