„Ernsthaft und realistisch“

Am Samstag wird die Fußball-WM 2010 nach Afrika vergeben. Ägypten gilt zwar als Außenseiter, scheint aber nicht ganz chancenlos. Die Fifa hat dem Land bereits „exzellentes Potenzial“ attestiert

„Wenn wir gewinnen, werden wir den ganzen Kontinent stolz machen“

AUS KAIRO RAPHAEL HONIGSTEIN

Es gibt Bilder, die hat man schon so oft im Fernsehen oder auf Postkarten gesehen, dass man denkt: Es reicht eigentlich. Doch dann steht man in einem mit roten Teppichen ausgelegten Zelt auf einem Hügel in der Wüste und schaut auf die Pyramiden von Gizeh hinunter, die golden in der Dämmerung leuchten und tausende von Menschen in langen Ameisenstraßen aus der Stadt locken, und hat ganz schnell ein halbes Kilo Sand in der Lunge, weil man den Mund nicht mehr zu bekommt. Auf einer Bühne singt Mohammed Mounir, der populärste Sänger des Landes. 500.000 Arme schnellen vor den Grabmalen der Pharaonen in die Höhe. Plötzlich stürmt ein Fan das Podest, er will Mounir umarmen, beide stürzen zu Boden, Sicherheitskräfte greifen ein. Auf den Monitoren im VIP-Zelt und den Fernsehschirmen der Nation ist von dem Zwischenfall nichts zu sehen. Der Regisseur blendet Archivmaterial von Präsident Husni Mubarak ein, erst als Mounir mit triumphierender Geste und leicht blutendem Ellbogen sein Set fortsetzt, geht er wieder live auf Sendung. „Misr! Misr!“, brüllt der Popstar ins Mikro, „Misr!“, jubelt die Masse zurück. Ägypten (arabisch: „Misr“) bewirbt sich um die Austragung der Fußball-Weltmeisterschaft 2010, die die erste WM in Afrika sein wird.

Szenen vom beeindruckenden Open-Air-Konzert in Gizeh, dem Höhepunkt der offiziellen Feierlichkeiten, werden am Samstag dem 24-köpfigen Fifa-Exekutivkomitee in Zürich vorgespielt, das zusammen mit Präsident Sepp Blatter über die Vergabe entscheidet. Nach der knappen Niederlage gegen Deutschland vor vier Jahren ist Südafrika der große Favorit. Libyen hat keine Chance, die Tunesier haben ihre Kandidatur am Wochenende von sich aus zurückgezogen. Bleiben noch Marokko und Ägypten. Beide sind nur Außenseiter, doch es könnte eine Überraschung geben, falls Südafrika im ersten Anlauf nicht die erforderlichen 13 Stimmen bekommen sollte. In Ägypten geht man davon aus, dass das zweitplatzierte Land in diesem Fall auf die Unterstützung seines nordafrikanischen Nachbarn zählen kann. Weil die Fifa Ägypten in ihrem Inspektionsbericht als zweitbesten Kandidaten hinter Südafrika eingeschätzt hat – beide erhielten das Prädikat „exzellentes Potenzial“ –, sind in Kairo Hoffnung und Enthusiasmus nun sehr groß.

„Ich glaube, dass wir die beste Mannschaft haben. Unsere Bewerbung ist sehr ernsthaft und sehr realistisch“, sagt Mohammed al-Siagy. In einem dunklen Zimmerchen in der Nähe des Cairo International Stadium, das gerade für den Afrika-Cup 2006 renoviert wird, preist der Vorsitzende des Organisationskomitees in holprigem Englisch die Vorzüge seines Landes. Die Bevölkerung, 70 Millionen, sei komplett fußballverrückt. Ägypten läge in der Mitte der Welt, für jeden bequem erreichbar, es sei sicher. Und man habe keine weit verbreiteten Krankheiten. „Wir sind ein gesundes Land“, sagt al-Siagy. Immer wieder bekommt man diesen Satz von den Offiziellen zu hören, es ist der wenig subtile Hinweis auf das Aids-Problem in Südafrika. Auch wenn al-Siagy davon spricht, dass man sich überall in Kairo frei bewegen könne und keine Angst vor Vergewaltigung haben muss, soll der westliche Zuhörer an die Ghettos in Johannesburg denken. „Jeder kann hier tun und lassen, was er will“, schickt er hinterher, „Alkoholkonsum und knappe Bekleidung? Kein Problem.“

Die Fifa hat einige Ungereimtheiten in der Bewerbung moniert, auf mangelnde öffentliche Transportmittel und das Verkehrschaos in dem 15-Millionen-Moloch Kairo/Gizeh hingewiesen. Das Budget von 6,6 Milliarden Dollar erfordere „eine komplette Revision“, so die Inspektoren. Doch letztlich seien diese Dinge nicht entscheidend, glaubt man in Kairo. In diesen bewegten Zeiten komme es in erster Linie auf die Sicherheit an, lautet das Kalkül – und diese Trumpfkarte gedenkt man voll auszuspielen. Al-Siagy: „Man kann nicht jedem der drei Millionen Besucher einen Polizisten an die Seite stellen.“ Sportminister Dr. Ali al-Din Halal stößt ins gleiche Horn: „Stadien kann man auf dem Reißbrett kreieren, Sicherheit nicht.“ Die sei keine Sache der Behörden, sondern in erster Linie „eine Funktion der sozialen Verhältnisse“. Und in dieser Beziehung würde Ägypten mit seiner geringen Verbrechensquote und großen Stabilität sehr gut dastehen. „Die Slums von Kairo sind sehr viel sicherer als die Slums von New York“, behauptet der ergraute Politiker, den die Massen „Dr. 2010“ nennen.

Rein subjektiv fühlt man sich in der Stadt mit den vielen Polizisten und Militärs auf der Straße auch spät nachts tatsächlich sicher. Ägypten hat seine Wirtschaft privatisiert, Mubaraks Regierungspartei NDP schiebt vorsichtige demokratische Reformen an. Das Land ist der wichtigste Verbündete der USA in der arabischen Welt, zwei Milliarden Dollar Wirtschaftshilfe schickt Washington im Jahr nach Kairo. Trotzdem hat man, wie Marokko, ein großes Problem: die Welt hat Angst vor islamistischem Terror. Ob es eine gute Idee sei, die WM „im Hinterhof von al-Qaida“ zu veranstalten, hat neulich Danny Jordaan, Chef der südafrikanischen Bewerbung, gefragt. 1997 sind bei einem Anschlag in Luxor 70 Touristen ums Leben gekommen, jahrelang blieben die Besucher weg. Al-Din Halal winkt ab: „Terror ist ein globales Phänomen, es kann jedes Land treffen. Seit 1997 hatten wir keine Probleme. Die Sicherheitskräfte arbeiten effektiv, wir haben ein massives Erziehungsprogramm gegen den Terrorismus in die Wege geleitet und überall dort soziale Entwicklungen initiiert, wo der Terror die Armut der Leute ausgenützt hat.“

Dass es der Fifa aus psychologischen Gründen schwer fallen wird, die WM an ein arabisches Land zu vergeben, glaubt er nicht: „Wir bewerben uns nicht als Muslime oder Araber, sondern als Afrikaner. Auch wenn wir nicht gewinnen sollten, freue ich mich, dass Afrika endlich die Chance bekommt. Doch wenn wir gewinnen sollten, weiß ich, dass wir den ganzen Kontinent stolz machen werden.“