: Vor dem Ende einer schmierigen Geschichte
Im Kölner Müllskandalprozess soll heute das Urteil gefällt werden. Die Angeklagten können mit milden Strafen rechnen, weil Millionen-Schmiergelder an den Geschäftsführer einer städtischen Gesellschaft vom Gericht nicht als Bestechung, sondern lediglich als Untreue gewertet werden
Von Pascal Beucker und Frank Überall
Es werden milde Urteilssprüche sein, die der Vorsitzende Richter Martin Baur heute im Saal 112 im Justizzentrum an der Luxemburger Straße verkünden wird. Das wird das unbefriedigende Ende eines Prozesses sein, der ein bezeichnendes Licht auf das korruptive Netz von Abhängigkeiten und Zweckfreundschaften zwischen der Entsorgungsbranche und Kölner Politikern warf. Dabei ging es eigentlich „nur“ um jene 24 Millionen Mark, die der Gummersbacher Anlagenbauer Steinmüller in den 90er Jahren zahlte, um die knapp 405 Millionen Euro teure Müllverbrennungsanlage (MVA) in Köln-Niehl bauen zu dürfen.
Die staunende Öffentlichkeit konnte in den vergangenen sechs Monaten an 42 Verhandlungstagen Zeugen wie den ehemaligen Kölner Oberstadtdirektor Lothar Ruschmeier erleben, die sich an kaum mehr als ihren Namen erinnerten. Sie hörten Kommunalpolitiker, die nicht wussten, in welchen Beiräten sie sitzen. Andere verweigerten auch einfach die Aussage – wegen eigener Ermittlungsverfahren. Vieles blieb unaufgeklärt.
Die überregionalen Schlagzeilen beherrschte dabei vorrangig derjenige, der in dem Prozess eigentlich nur eine kleine Nebenrolle spielte: der Kölner SPD-Ratsfraktionschef Norbert Rüther. Der 53-Jährige hatte eingeräumt, „Dankeschön-Spenden“ von Unternehmen angenommen zu haben, die am Bau des Müllofens beteiligt waren. Aber wusste er auch von den Bestechungsgeldern, die der Chef der Müllofenbetreiberfirma Ulrich Eisermann eingesteckt hatte? War Rüther letzten Endes sogar selbst bestechlich und kassierte tatsächlich 1995 und 1998 jeweils eine Million Mark, wie sein Ex-Genosse behauptete? Zunächst schien davon nicht nur die Staatsanwaltschaft, sondern auch das Gericht überzeugt. Doch im Verlauf des Prozesses wuchsen die Zweifel des Vorsitzenden Richters Martin Baur. Denn es ließen sich trotz aller Bemühungen keine Beweise oder auch nur handfeste Indizien finden, die Eisermanns Behauptung gestützt hätten. Obwohl die Staatsanwaltschaft eine Haftstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten gegen ihn beantragt hat, kann das frühere sozialdemokratische Schwergewicht heute mit seinem Freispruch rechnen. Denn den hatte Baur bereits Ende März in Aussicht gestellt.
Verantwortlich dafür ist nicht unmaßgeblich, dass das Gericht sich seit der legendären „Aktenpanne“ der Staatsanwaltschaft, als plötzlich 30 Umzugskartons mit von den Ermittlern zurückgehaltenen Akten auftauchten, nicht mehr in der Lage sieht, die Glaubwürdigkeit Eisermanns zu beurteilen.
Für die Ermittler war das der GAU. Denn für sie ist der 60-Jährige, der den Löwenanteil des Steinmüller-Schmiergeldes kassierte, nicht nur der Hauptbeschuldigte, sondern auch ihr Kronzeuge. Auf seinen Aussagen beruht sowohl die Anklage gegen Rüther als auch nicht unerheblich die gegen Sigfrid Michelfelder. Denn der will „nur“ eine Million Mark aus dem Schmiergeldtopf genommen haben und zwar 1995 – womit dies verjährt sein könnte. Eisermann hingegen beteuert, er habe 1996 dem damaligen Steinmüller-Manager 1,2 Millionen Euro gegeben.
In ihren Schlussplädoyers versuchten die Ankläger zu retten, was nicht mehr zu retten ist: „So weit seine Aussagen überprüfbar waren, haben die Überprüfungen seine Aussagen bestätigt“, bekundete Staatsanwalt Joachim Roth eindringlich. Er wies denn auch Vermutungen zurück, Eisermann könne die Millionen, die er Rüther und Michelfelder zugerechnet hat, selbst irgendwo versteckt haben. „Ein Tänzer auf dem Hochseil ist er nicht“, meinte der Ermittler – und sprach dabei von einem Mann, der Schmiergelder in Millionenhöhe in Garagenverstecken, in Tresoren und auf ausländischen Geheimkonten hortete und letztlich den Überblick verloren haben will.
Warum aber gehen für Eisermann die Strafforderungen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung trotz aller Kooperation so weit auseinander? Das liegt an einer Grundsatzfrage, die von Beginn an heftig umstritten war: War Eisermann in seiner Zeit als AVG-Geschäftsführer ein „Amtsträger“ oder nicht? Eigentlich bezieht sich der Begriff auf Beamte und Angestellte des öffentlichen Dienstes. Als Staatsdiener sind sie strengeren Regeln unterworfen und werden im Falle ihrer Bestechlichkeit härter bestraft als Beschäftigte einer Privatfirma. Was ist jedoch mit den Mitarbeitern einer privatrechtlich organisierten städtisch dominierten Gesellschaft wie der AVG? Die Staatsanwaltschaft ist der Überzeugung, Eisermann sei Amtsträger gewesen, weil die AVG nicht nur mit der Abfallentsorgung eine hoheitliche Aufgabe wahrnimmt, sondern auch stets von der Stadt gesteuert wurde.
Eisermanns Verteidigung bestreitet das. Wegen des 25,1-Prozentanteils von Müllmulti Trienekens sei die Stadt „maßgeblich in ihrem Einfluss gehemmt“ gewesen. Ohne den Müllmulti sei in der AVG „nichts gegangen“.
Das Gericht, das hatte es schon im vergangenen Jahr deutlich gemacht, wird dieser Ansicht wohl folgen und deshalb auch deutlich unter der von der Anklage geforderten sechsjährigen Haftstrafe für Eisermann bleiben. Auch Michelfelder braucht deswegen nicht 4 Jahre und 6 Monate hinter Gittern, sondern dürfte mit einer Bewährungsstrafe davon kommen. Ohne den Tatbestand der Amtsträgerbestechung und weil verschiedene andere Straftatbestände nur schwer anwendbar scheinen, werden die beiden vor allem wegen Untreue und Steuerhinterziehung bestraft werden – und eben nicht wegen Korruption.
Damit wird sich die Staatsanwaltschaft jedoch nicht zufrieden geben. Sie hat angekündigt, wegen der Amtsträger-Frage eine Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs erreichen zu wollen. Die könnte Auswirkungen auf die Praxis städtischer Gesellschaften von der Messe über die Stadtwerke bis zu den Abfallwirtschaftsbetrieben haben, deren Chefs sich bislang hartnäckig weigern, sich selbst als Amtsträger einzustufen.