BARBARA DRIBBUSCH über GERÜCHTE
: Sie gehörte doch fast zur Familie

Wenn man dahinter kommt, dass die Putzfrau schummelt, ist das ein schmerzlicher Erkenntnisprozess für alle

Meine Freundin Britt gehört zu den Reicheren in meinem Bekanntenkreis, was bedeutet: Sie hat Probleme, die andere nicht haben. Jenes Problem, von dem sie mir am Montag in ihrer Reihenhausküche berichtete, war so gravierend, dass sich Britt schon am Nachmittag um 16 Uhr ein Glas Portwein eingeschenkt hatte. „Es ist so eine Enttäuschung, nicht respektiert zu werden“, sagte sie und nahm einen großen Schluck, „festzustellen, es geht nur ums Geld. Menschliche Bindungen, Vertrauen, das spielt alles keine Rolle.“

Ich nicke und sage nichts. Es ist sicher ein Einschnitt, wenn man nach zehn Jahren der Zusammenarbeit die polnische Putzhilfe und Kinderbetreuerin wegen Unehrlichkeit feuern muss. Britt hatte genau das mit Krystyna getan. Es war ein dummer Zufall gewesen, dass sie dahinter gekommen war, dass Krystyna all die Jahre zwar immer vier Stunden Putzen abgerechnet, dabei das Haus aber oft nach drei, manchmal schon nach zwei Stunden verlassen hatte.

„Ich habe Krystyna doch nie kontrolliert“, klagt Britt betrübt, „ich war doch immer arbeiten. Sie sollte hier ganz selbstständig herumwurschteln. Andere, die fahren hinterher mit dem Finger über die Fensterbretter und nörgeln. Ich nie. Obwohl es mir natürlich schon komisch vorkam, dass die Mikrowelle manchmal geputzt war und manchmal nicht.“

Am Dienstagmorgen in der Woche zuvor war Krystyna wie immer zum Putzen gekommen. Doch Britt hatte ausnahmsweise ihren freien Tag gehabt und war deshalb nicht zur Arbeit, sondern nur zum Einkaufen gegangen. Nach zwei Stunden kam sie überraschend zurück. Das Haus war leer, Krystyna schon weg. „40 Euro“, sagt Britt, „40 Euro für vier Stunden inklusive Fahrgeld. Wir haben sie doch immer besser bezahlt als die andern.“ Britt hatte sich auch immer zugute gehalten, dass die 40-jährige Krystyna „fast ein bisschen zur Familie“ gehöre. Alle ausrangierten Klamotten, Küchengeräte und Möbel gingen nach Polen. Und nun hatte Krystyna in Selbsthilfe gewissermaßen für noch etwas mehr Umverteilung gesorgt. 40 Euro für zwei Stunden! Nicht schlecht.

„Sehen wir Krystyna jetzt nie mehr ?“, fragt Britts Tochter Anna, die gerade zur Tür hereingekommen ist. Sie sieht ehrlich bekümmert aus. Waren die Kinder krank oder wollten Britt und Bernhard ausgehen, kam Krystyna für Anna zur Betreuung. „Die war doch zehn Jahre bei uns, fast so lange, wie ich lebe. Da müssen wir doch einen Abschied machen. Eine kleine Feier“, bittet Anna. Ich erinnere mich noch, wie mir Anna stolz ihre komplizierten französischen Zöpfe zeigte, die ihr Krystyna geflochten hatte. Auch ein paar Zeilen eines polnischen Wiegenliedes hatte ihr Krystyna beigebracht.

„Anna, wir können doch keine Abschiedsfeier machen, wenn Krystyna so unehrlich war!“, mahnt Britt. Nachdem sie an jenem Dienstag festgestellt hatte, dass Krystyna das Haus tatsächlich verlassen hatte, nicht ohne die bereitgelegten vier 10-Euro-Scheine mitzunehmen, hatte Britt bei ihr angerufen und sie zur Rede gestellt. Das Gespräch dauerte nur fünf Minuten. Krystyna versuchte sich mit einer Lügengeschichte herauszureden, und das machte die Sache nur noch schlimmer. Britt forderte den Schlüssel zurück: „Tu ihn in einen Umschlag, wirf ihn in den Briefkasten, und das war’s.“

Draußen stoppt ein Auto. „Krystyna“, ruft Anna aufgeregt, sie hat aus dem Fenster geschaut, „Krystyna ist da.“ „Die wirft nur den Schlüssel ein“, sagt Britt. Wir hören ein Klappern am Briefkasten. Krystyna steigt wieder in ihr Auto. Anna hat die Haustür geöffnet und läuft ihr auf Socken hinterher. „Tschüs, Krystyna. Tschüs, liebe Krystyna“, ruft sie traurig und winkt. Britt und ich sind hinterhergekommen und fangen plötzlich auch an zu winken. Krystyna grüßt zurück und schaukelt in ihrem alten schilfgrünen Opel Kapitän davon, wie in einer Sänfte. Ich muss an eine Lebensregel denken, die Britts Mutter einmal verkündet hatte: „Fange nie etwas mit dem Personal an!“

Krystyna jedenfalls hatte sich daran gehalten.

Fragen zum Personal? kolumne@taz.de Morgen: Philipp Maußhardt über KLATSCH