: „Der Rechtsstaat darf Folter nicht legalisieren“, sagt Uwe Wesel
Auch gegen Terroristen muss Folter verboten bleiben – schon die Debatte darüber ist falsch
taz: Herr Wesel, der Historiker Michael Wolffsohn hält Folter als Mittel gegen Terroristen für legitim. Ist das gerechtfertigt?
Uwe Wesel: Lieber Herr Reinecke, schon die Diskussion um diese Frage ist unmöglich.
Warum?
Weil wir an das Grundgesetz gebunden sind. Das Grundgesetz haben wir uns, nach der Herrschaft der Folterknechte des Nationalsozialismus, mühsam verdient. Der erste Artikel lautet: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Damit ist die Rechtslage eindeutig. Es gibt außerdem den Artikel 79, der besagt, dass dieser Artikel 1 als Verfassungsfundamentalnorm nicht beseitigt werden kann. Also: Journalisten mögen über die Frage, ob es in extremen Fällen legitime Folter geben könnte, reden – wenn Juristen dies tun, halte ich das für skandalös.
Und die gibt es?
Leider gibt es unter den mehreren hundert von Juraprofessoren hierzulande zwei, die dies tun: Herr Herdegen aus Bonn und ein Kollege, dessen Name mir zum Glück entfallen ist. Man darf darüber nicht diskutieren.
Wir befinden uns in diesem Gespräch also in einer paradoxen Lage: Wir sprechen über etwas, über das zu sprechen sich verbietet. Aber auch das Verbot ist nur mit Argumenten aufrechtzuerhalten – deshalb reden wir darüber.
Ich zweifle, ob ich Ihnen da wirklich folgen soll. Einige meiner Kollegen verlassen zu Recht den Saal, wenn darüber diskutiert werden soll.
Obwohl das Szenario eher aus dem Kino als aus der Realität stammt, bleiben wir also bei der Frage, die der US-Jurist Alan Dershovitz 2002 gestellt hat: Was passiert, wenn ein Terrorist eine Bombe versteckt hat, aber nicht preisgibt, wo? Rechtfertigt dies Folter?
Nehmen wir an, eine so fruchtbare Lage entsteht, ein Beamter foltert in Deutschland einen Terroristen und rettet dadurch womöglich andere Menschenleben – dann ist das keine juristische Frage. Das mag eine politische, eine menschliche, ich würde sagen, eine unmenschliche Frage sein, aber es ist keine juristische. Denn juristisch ist diese Frage zum Glück durch das Grundgesetz beantwortet.
Als Advocatus Diaboli – wäre es nicht besser für solche Extremfälle, rechtliche Regeln zu haben, um, wie Dershovitz meint, Folter zu begrenzen?
Das sind doch absurde Konstrukte über Extremsituationen, die zu nichts führen. Pragmatisch gesprochen: Ich bin dafür, dass der Polizeivizepräsident aus Frankfurt, der dem Entführer von Jacob von Metzler Folter angedroht hatte, vor Gericht gestellt wird, zugibt, dass er gegen das Recht gehandelt hat, und verurteilt wird – mit einer verhältnismäßig milden Strafe.
Warum wird das Folterverbot absolut gesetzt – während es, polemisches Beispiel, beim Mord die Ausnahme der legitimen Tötung des Tyrannen gibt?
Weil es beim Tyrannenmord um einen Einzelnen geht, der keine institutionelle Macht hat und seinen eigenen Tod riskiert, wie etwa Graf Stauffenberg. Bei unserem Thema geht es hingegen um einen Staat, einen Machtapparat, der sein Verbrechen, die Folter, auch noch rechtlich legitimieren will. Der Tyrannenmord ist legitim, das wissen wir seit der Antike, staatliche Folter ist illegitim. Das muss so bleiben. Wir sehen doch in Abu Ghraib und Guantánamo, was Ziel und Effekt dieser Debatte ist – nämlich die realen Folterungen zumindest teilweise zu legitimieren. Ich hoffe aber in den USA auf die Justiz. Der Oberste Gerichtshof der USA wird im Juli über Guantánamo befinden. Und ich bin optimistisch, dass er gegen die Bush-Regierung entscheiden wird.
Der internationale Terror ist, siehe Madrid, eine Tatsache. Wie sollen die europäischen Staaten darauf reagieren?
Keinesfalls so wie die USA. Wir haben in Europa doch 200 Jahre Erfahrung mit dem Terror, seit der Ermordung von Kotzebue 1819. Terrorbekämpfung war nicht erfolgreich, wenn man viele Gesetze gemacht hat. In Spanien gibt es keine speziellen Gesetze gegen die ETA, in Großbritannien hat man hingegen viele gemacht. Doch besiegt wurde der Terror durch einen Vertrag, das „good friday agreement“. Terror kann man nur politisch besiegen.
Wirklich? Kann die Justiz gar nichts leisten?
Nun ja, in Italien hat die Regelung für die so genannten reuigen Terroristen geholfen, den Terror zu beenden. Wir haben in Deutschland ein Anti-RAF-Gesetz nach dem anderen erlassen – das Ergebnis war, dass die RAF 27 Jahre existiert hat. Genützt hat, trotz einiger spektakulärer Fehlschläge, gegen die RAF viel eher der Computer von Herrn Herold im BKA. Das gilt wohl auch für islamistische Terroristen. Also: mehr Fahndung, mehr V-Leute. Das kann etwas bringen – allerdings verbunden mit dem politischen Versuch, den islamischen Ländern klar zu machen, dass wir keine Kreuzritter sind. Das wird aber angesichts dieser Folterbilder aus dem Irak schwierig.
Innenminister Otto Schily will eine Sicherungsverwahrung für Terrorverdächtige, die nicht abgeschoben werden können. Ist das sinnvoll?
Ach was. Diese Idee stammt auch nicht von Schily, sondern von den Briten. Der englische Innenminister Blunkett hat dieses Gesetz durch das Parlament gebracht. Danach haben es englische Richter für verfassungswidrig erklärt, obwohl die Engländer gar keine richtige Verfassung haben und bisher auch keine Verfassungsgerichtsbarkeit. Es gab diese Praxis in Großbritannien schon mal, von 1971 bis 1975. Man hat das wieder abgeschafft, weil zu viele Unschuldige betroffen waren. Wenn schon englische Richter dieses Gesetz kassieren – ein einmaliger Vorgang in der britischen Rechtsgeschichte –, kann man sich vorstellen, was hier vor dem Bundesverfassungsgericht passieren wird. Dass darüber ernsthaft geredet wird, zeigt ebenfalls die Schieflage der Debatte.
INTERVIEW: STEFAN REINECKE