: Begabung soll Schule machen
CDU-Schulpolitik in der Offensive: in Niedersachsen Abi nach 12 Jahren, Schullaufbahn ab der4. Klasse nach Begabung. Die SPD verteidigte die Bildungspolitik ihrer Landesregierung nicht mehr
taz ■ Nach kaum dreieinhalb Monaten im Amt brachte die neue CDU/FDP-Landesregierung in Niedersachsen am Mittwoch ihr wohl wichtigstes Reformvorhaben durch den Landtag, die Neugestaltung der Schulstrukturen. Das neue Schulgesetz bedeutet nach fast 30 Jahren das Aus für eines der umstrittensten Projekte in der niedersächsischen Bildungslandschaft: die eigenständige Orientierungsstufe (OS) in den Klassen 5 und 6. Die wird im Sommer 2004 komplett abgeschafft – sämtliche weiterführenden Schulen beginnen dann nach Klasse 4. Kein Wort des Bedauerns war dazu im Landtag zu hören, auch nicht von der SPD.
Vor allem die Grünen bemängeln aber, dass nun viel zu früh entschieden wird, ob ein Kind begabt oder unbegabt ist – Spätentwicklern würden so Chancen verbaut. „Kinder in den SPD-regierten Ländern sind Jahrzehnte lang benachteiligt worden“, begründete dagegen der CDU-Bildungspolitiker Karl-Heinz Klare das Tempo der Reform. „Wir lassen eine weitere Benachteiligung unserer Kinder nicht zu.“ Das Abitur wird in Niedersachsen künftig wie in sieben anderen Bundesländern ein Jahr früher nach Klasse 12 abgelegt. Von 2006 an wird es auch nach bayerischem Vorbild das Zentralabitur geben. Ziel ist eine bessere Vergleichbarkeit der tatsächlichen Leistungen der SchülerInnen – auf dieser Grundlage könne man dann mit ihm über Gesamtschulen reden, erklärte Kultusminister Busemann. Bis dahin werde es keine neue Gesamtschule geben. Der Minister erinnerte daran, dass nach einer Emnid-Umfrage die „bildungspolitische Kompetenz“ der CDU aus Sicht der Bevölkerung in den Monaten der erbitterten Schul-Debatte weiter gestiegen sei.
Vormittags hatte der Landesschülerrat zu einer Protest-Demonstration aufgerufen. Aber nur wenige hundert SchülerInnen waren dem Aufruf gefolgt. „Der Protest gegen Ihre Bildungspolitik hält sich ja in Grenzen“, musste auch der SPD-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Jüttner einräumen. Der Oppositionspolitiker unterließ es, die Schulpolitik der SPD-Landesregierung zu verteidigen, er erinnerte daran, dass auch Bayern im internationalen Vergleich nicht weit vorn lag: „Von Bayern in der Schulpolitik lernen, heißt im Mittelmaß verharren.“ Entscheidend bei den Pisa-Siegern sei, dass es dort „eine andere Lernkultur“ gebe.
Genüßlich konnte Kultusminister Busemann da den früheren Ministerpräsidenten Siegmar Gabriel zitieren, der der Bildungsdebatte des Landtages fern blieb, aber über die Zeitung mitgeteilt hatte, es stimme ihn „nachdenklich“, dass Baden-Württemberg mit dem dreigliedrigen Schulsystem nicht nur gute Pisa-Ergebnisse, sondern „zugleich die geringste soziale Selektivität in Deutschland hat“.
Auch in Niedersachsen sei das Schulsystem immer dreigliedrig gewesen, erklärte Busemann. Durch die Reform wolle man den verschiedenen Begabungen mehr gerecht werden. Gegen dieses Argument wandte sich vor allem die grüne Bildungspolitikerin Ina Korter. Die CDU-Schulpolitik sortiere SchülerInnen „angeblich begabungsgerecht viel zu früh“ und verbaue so Bildungschancen für Spätentwickler. Die CDU entlasse die Schulen aus der „Verantwortung, sich auch um die schwierigen Schüler zu kümmern“, erklärte sie. kawe