: Und es hat Popp gemacht
Tennisprofi Alexander Popp hat sein zweites Comeback erfolgreich begonnen. In Wimbledon versucht er, Erinnerungen nicht nachzuhängen und doch auf die erfolgreiche Vergangenheit aufzubauen
aus Wimbledon DORIS HENKEL
Natürlich hat er sich gefreut, wieder nach Wimbledon zu kommen. Drei Jahre ist es her, dass Alexander Popp, 26, zur allgemeinen Verblüffung beim berühmtesten Turnier der Welt vier Spiele in Folge gewann, dass er im Viertelfinale stand und auf einmal dazugehörte zum Kreis der Besten. Die Briten wollten ihn sogar überreden, den Spuren seiner englischen Mutter zu folgen und künftig für ihr Land zu spielen. Zehn Tage lang erlebte er damals, wie es sich anfühlt, Alex im Wunderland zu sein. Aber diese Geschichte hat er in einer Kiste abgelegt, und der Deckel ist geschlossen. „Das ist erledigt“, sagt Popp, „ich bin noch nicht zu alt, und ich will noch was erreichen, da darf man nicht an der Vergangenheit hängen.“
Zumal doch gerade zum dritten Mal die Gegenwart beginnt. Nach einer Operation am rechten Handgelenk – Diagnose Diskusriss – Anfang Oktober 2002 und nach einer Pause von acht Monaten ist er erst seit ein paar Wochen wieder dabei. In Wimbledon darf er nur deshalb spielen, weil er wegen der Verletzung ein so genanntes „protected ranking“ in Anspruch nehmen kann. So gern er an die Stätte seiner größten Erfolge zurückgekehrt ist – wichtiger ist ihm, überhaupt wieder dabei zu sein. „Es ist ein gutes Gefühl, noch dazuzugehören, und es ist ja auch wichtig, Anschluss zu halten.“
Denn er weiß aus leidvoller Erfahrung, wie schwer das ist. Vieles ist schief gelaufen nach dem unerwarteten Erfolg vor drei Jahren in Wimbledon. Mit der kurz auflodernden Euphorie hat er nichts anfangen können, vieles fand er maßlos übertrieben, aber als er bald danach Hilfe gebraucht hätte, war keiner mehr da. Monatelang fühlte er sich schlapp, erschöpft und leer, viel zu lang spielte er dennoch weiter. Nach einer Zeit der Ratlosigkeit hieß die Diagnose dann Pfeiffersches Drüsenfieber. Es folgten mehrere Monate Pause, und als es ihm endlich wieder besser ging, konnte er fast wieder von vorn anfangen.
Es ist kein Kinderspiel, zu den kleinen Turnieren zurückkehren zu müssen, wenn man den Glanz der großen kennen gelernt hat, aber Popp wusste, dass der Weg nach oben nur über die Niederungen führen würde. Im Herbst vergangenen Jahres hatte er das Gefühl, es sei endlich wieder Land in Sicht. Er kam in der Rangliste allmählich voran, und bei den US Open gewann er zum ersten Mal nach fast zwei Jahren wieder ein Spiel bei einem Grand-Slam-Turnier. Das nächste verlor er unglücklich in fünf Sätzen gegen den Armenier Sargis Sargsian, aber was schlimmer war: Zwei Tage danach schmerzte das Handgelenk derart, dass er keinen Ball mehr schlagen konnte, und wenig später wusste er, dass er um die Operation nicht herumkommen würde.
Was das bedeuten würde, war klar: wieder eine lange Pause, danach wieder die Ochsentour mit der vagen Aussicht eines zweiten Comebacks. Natürlich, sagt Popp, manchmal habe er darüber nachgedacht, ob er sich das noch mal antun sollte, aber es sei nicht schwer gewesen, eine Antwort zu finden. „Jeder, der mit Herz und Seele dabei ist, gibt nicht so schnell auf.“
Und da ist er nun, zum ersten Mal wieder in Wimbledon nach drei verlustreichen Jahren. Der glatte Sieg in der ersten Runde gegen Hicham Arazi aus Marokko war ein dringend benötigtes Zeichen. „Von außen sieht es vielleicht so aus, als hätte ich nichts zu verlieren“, erklärt Popp abgeklärt, „aber der Druck ist viel größer als damals, weil alles, was ich noch an Punkten habe, muss ich in den nächsten zwei Monaten verteidigen. Wenn ich das nicht schaffe, stehe ich Ende des Jahres in der Weltrangliste auf 500.“
Platz 500 sind keine Niederungen mehr, das ist Versenkung. Der Sieg gegen Arazi war der erste Schritt zurück ans Licht, der zweite soll heute folgen gegen den Niederländer Raemon Sluiter. Man darf sich nicht täuschen lassen, wenn es dabei so aussehen sollte, als gehe Alexander Popp die Sache relativ leidenschaftslos an: Er ist kein Mann, der Emotionen zeigt. Was aber nicht heißt, dass er keine hat. Das Gefühl, wieder dabei zu sein, ist stark, aber es gehört ihm allein.