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Archiv-Artikel

Intimität ist ein zwanghafter Reflex

„Auto Focus“, der jüngste Spielfilm von Paul Schrader

Bob Crane ist die erste von Paul Schraders Figuren, der keine Erlösung zuteil wird

Men just wanna have fun. Am Ende seines Lebens blickt Bob Crane (Greg Kinnear) noch einmal auf seine eigene Leiche. Eine schöne Sauerei ist das. Sein Gehirn ist gleichmäßig auf Kopfkissen und Wand verteilt. Aber Bedauern lässt sich seiner Stimme nicht entnehmen. Eher klingt es, als würde er seinen kleinen, schmutzigen Tod mit einem unkalkulierbaren Berufsrisiko erklären wollen. „Ein Tag ohne Sex ist ein verschwendeter Tag“, das war in den 70ern die Lebensmaxime von Crane und seinem Swinger-Buddy John Carpenter (Willem Dafoe). „Auto Focus“, der neue Film von Paul Schrader, wirft Licht (und Schatten) auf das Wirken dieses dynamischen Duos, das nur wenige Jahre vor dem Aufkommen von Aids ein jähes Ende fand.

1978 wurde Bob Crane, der Star aus der Nazi-Camp-Sitcom „Hogan’s Heroes“ (im deutschen Fernsehen unter dem Titel „Stacheldraht und Fersengeld“ ausgestrahlt), mit eingeschlagenem Schädel in einem Motelzimmer in Arizona gefunden. Carpenter wurde unmittelbar nach der Tat des Mordes verdächtigt, zur Verurteilung kam es 14 Jahre später. Carpenter ist es auch, dem in „Auto Focus“ Schraders uneingeschränkte Sympathie zuteil wird. Und dennoch ist nicht er der typische Schrader-Zwangscharakter, wie er sich von Travis Bickle, dem Protagonisten von „Taxi Driver“, über Julian Kaye („American Gigolo“) bis Wade Whitehouse („Der Gejagte“) durch Schraders Drehbücher zieht. In „Auto Focus“ fällt diese Rolle Bob Crane zu, dem Strahlemann im Technicolor-Polo-Outfit, in dem sich alle vorstellbaren Abgründe einer bigotten 60er-Jahre-Mittelklasse-Gesellschaft manifestieren. Hollywood wirkt in „Auto Focus“ wie eine Vorstadtkolonie aus einem Douglas-Sirk-Film, durch die sich Crane wie ein geiler Bock rammelt.

Bei Schrader, dem gebrandmarkten Calvinisten unter den exzessiven New-Hollywood-Regisseuren, wird daraus aber noch lange kein Moralstück. Crane muss in „Auto Focus“ nicht sterben, weil er wild durch die Gegend gevögelt hat, sondern weil er am Ende ein menschliches Wrack war. Sein Aufstieg und Fall verläuft in Schraders Version entlang einer ausgeklügelten Dramaturgie von Licht, Farben und Musik. Zunächst schafft Schrader mit „Auto Focus“ einige seiner hellsten und zugänglichsten Bilder. Cranes unerschütterliches Ego federt anfangs noch im tänzelnden Gang nach, mit dem er sich durch eine lichtdurchflutete, Soap-Opera-ähnliche Kleinstadtkulisse bewegt. Alles wirkt sauber und furchtbar beengt: die Familie, der Vorgarten, die Witze. Farbfernsehen und gefüllte Martini-Gläser sind die Statussymbole dieses Lifestyles, und über die animierte Titelsequenz schmachtet eine perlige Sammy-Davis-Imitation („Snap“ von Buster Pointdexter). Die 60er meinten es noch gut mit Crane. Er hatte seine Karriere als einer der beliebtesten Radio-DJs der Westküste gestartet, bevor er mit der Rolle als Colonel Hogan Celebrity-Status erfuhr.

Die Bigotterie der amerikanischen Gesellschaft ist seit „Taxi Driver“ eines von Schraders großen Themen. „Erzähl ihnen, Sex ist normal“, rät Crane seinem Manager (Ron Leibman), als sein exzessiver Lebensstil ernste Imageprobleme aufwirft, „ich bin normal.“ Normal meint hier eine saubere Trennung von Privatem und ganz Privatem: Man lässt draußen „Dampf“ ab, damit zu Hause Ruhe herrscht.

Das Auftauchen der Videotechnik, die Carpenter im Auftrag von Sony seit Ende der 60er-Jahre auf dem amerikanischen Markt etablieren sollte, markiert für Schrader den Einbruch dieses ganz Privaten in die familiäre Privatsphäre: Es sind die Anfänge der Pornoindustrie. Dabei ist Sex in „Auto Focus“ – sehr calvinistisch – ein unsäglich freudloses Unterfangen, Intimität allenfalls noch zwanghafter Reflex. Am deutlichsten wird das, wenn Crane und Carpenter sich zusammen einen auf ihre eigenen Homevideos runterholen.

Schrader widmet der latent-homoerotischen Beziehung zwischen den beiden weit mehr Aufmerksamkeit als Cranes unschönem Persönlichkeitswandel. Carpenter ist die wirklich tragische Figur in diesem Gespann. Während Crane bis zum bitteren Ende ein Stoiker seines eigenen Untergangs bleibt, zeichnen sich in Dafoes Mimik immer wieder kurze seismische Erschütterungen von Unsicherheit, Verlustangst und Verzweiflung ab. Crane ist für Carpenter immer nur Projektionsfläche des eigenen unerfüllten Begehrens, darum kann er ohne ihn auch nie „selbst“ sein. Die Abhängigkeitsverhältnisse zwischen beiden sind früh verkehrt. Bei Schrader ist Carpenter schließlich Cranes treuestes Groupie.

Die letzten 20 Minuten von „Auto Focus“ sind wahrscheinlich Schraders beste überhaupt. Angelo Badalamentis angejazzte Filmmusik mutiert plötzlich zu einem psychoakustischen Brummen auf der Tonspur, die Farben waschen aus, und die Handkamera zittert paranoid durch enge, verstellte Räume. Keiner von Schraders bisherigen Antihelden hatte solch ein Zeremoniell nötig. Aber Bob Crane ist die erste Schrader-Figur, der am Ende keine Erlösung zuteil wird.

ANDREAS BUSCHE

„Auto Focus“. Regie: Paul Schrader. Mit Willem Dafoe, Greg Kinnear u. a. USA 2002, 105 Minuten