Abrissbirne soll Städte retten

In Dorsten sollen Wohnungen aus einem ehemaligen Prestigeprojekt abgerissen werden. Das Programm könnte zum Vorbild fürs Revier werden: Schrumpfende Bevölkerung und soziale Brennpunkte machen Wohnungen überflüssig

RUHR taz ■ Der Dorstener Stadtteil Wulfen soll kleiner werden – und Stadt, Land und Bevölkerung freuen sich darüber. Am Mittwochabend hat die Landesentwicklungsgesellschaft (LEG) über einen Abriss von etwa 300 Wohnungen in der nördlichen Siedlung beraten. Sollte das geforderte Geld von Land und Bund kommen, soll die Abrissbirne schon bald schwingen.

Dorsten will nun versuchen, das Land zu einer Zuschuss-Zusage zu bewegen, sagt der CDU-Bürgermeister Lambert Lütkenhorst. Das Land sei in der Pflicht, früher gemachte Fehler aus städtebaupolitischer Sicht auszuräumen. „Es wäre fatal wenn eine anonyme Fondsgesellschaft das Abriss-Problem zu Abschreibungszwecken eskalieren ließe.“

Dorstens Sprecherin Lisa Bauckhorn möchte „lieber von einem Rückbau sprechen“. Aus Sicht der Stadt sollen die Wohnungen möglichst schnell von der Bildfläche verschwinden. „Anders kriegen wir die Probleme nicht mehr in den Griff“, sagt Bauckhorn. Die riesengroßen Plattenbauten seien entweder voll mit „schwierigen Leuten“ oder sie stünden ganz leer. Überall herrsche Vandalismus, gewaltbereite Jugendcliquen müssten betreut werden. „Aber dafür gibt es kein Geld, wir sind absolut pleite“, klagt die Sprecherin.

Dabei war der Häuserblock „Neue Stadt Wulfen“ einst ein städtebauliches Vorzeigeobjekt im Ruhrgebiet. Anfang der 60er Jahre sollte für die Beschäftigten einer geplanten Schachtanlage und ihre Familien eine Siedlung mit 60.000 BewohnerInnen entstehen. Die Planung war progressiv: Grünflächen und Radwege durchziehen das Gelände, Busverbindungen wurden eingerichtet, hohe und niedrige Gebäude wechselten sich ab. Doch die Krise des Bergbaus riss die Siedlung mit: Der Schacht wurde nicht gebaut, nur 20.000 Menschen lebten in der Vorstadt, die Bevölkerung verarmte.

Dorsten ist kein Einzelfall. Die schrumpfende Bevölkerung und ein Überangebot an Wohnungen werden den Abriss von Wohnungen im Ruhrgebiet bald zur Normalität werden lassen. „Das ist etwas sehr Neues“, sagt Mirjam Grothjahn vom nordrhein-westfälischen Städtebauministerium. Im Rahmen des Städteumbaus West seien erstmalig Mittel für den Wohnungs-Rückbau eingeplant. „Vor allem im nördlichen Ruhrgebiet ist das eine notwendige Maßnahme geworden“, sagt Grothjahn.

In drei weiteren Ruhrgebietsstädten soll die Abrissbirne bald schwingen: In der nördlichen 30.000-EinwohnerInnenstadt Oer-Erkenschwick sollen die oberen Stockwerke der Hochhaussiedlung an der Halluinstraße abgetragen werden, rund um den Gelsenkirchener Hauptbahnhof sollen Wohnungen verschwinden und in Essen werden gerade einzelne Problemstadtteile daraufhin untersucht, ob leerstehende Wohnungen abgerissen werden sollten.

Thomas Rommelspacher, städtebaupolitischer Sprecher der Grünen in NRW, begrüßt den geplanten Abriss in Dorsten. „Die leerstehenden Wohnungen sind für die Umgebung nur ein Klotz am Bein.“ Eine Renovierung sei fast unmöglich, die Wohnungen müssten weg. Er rechnet damit, das in Zukunft viele Städte in NRW über einen Abriss nachdenken werden. Besonders betroffen seien davon das Ruhrgebiet und das Bergische Land. „In Köln wird einem ja jeder Schrotthaufen aus der Hand gerissen“, sagt Rommelspacher. Der Königsweg sei der Abriss aber nicht. „Wir sind nicht in der Ex-DDR“, sagt Rommelspacher. „Wir müssen die vorhandenen Wohnungen attraktiver machen.“ Kleinere Wohnungen müssten zusammengelegt, mit Balkonen ausgestattet und renoviert werden. ANNIKA JOERES