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Archiv-Artikel

So schick sah’s im Osten aus

„Ostmoderne“, eine Schau über frühe DDR-Architektur, erweitert den Blick auf Bauten jenseits der Platte. Sie versagt aber in der Kritik der Pläne, die Berlins „zweite Zerstörung“ zu verantworten haben

Das Bauen zählte zur internationalen Bewegung der Nachkriegsmoderne

VON ROLF LAUTENSCHLÄGER

Immer wenn die Tür zum Foyer der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität aufgeht, dringt Baulärm in den Raum. Draußen vor der historischen alten Bibliothek am Bebelplatz wird die umstrittene Tiefgarage rund um das Denkmal zur Erinnerung an die Bücherverbrennung 1933 errichtet. Daneben hängt ein Großplakat für ein neues Hotel und Richtung Unter den Linden kreuzen wieder einmal Bagger die Straße.

Quasi als Kontrast zu den Baustellen für das „neue Berlin“ kommt dem Besucher da die Schau „Die Ostmoderne – Architektur in Berlin 1945 bis 1965“ entgegen. Und man wird das Gefühl nicht los, als ginge es den Ausstellungsmachern um ein Gegenprogramm, das nostalgisch den städtebaulichen Spuren des alten sozialistischen Ostberlin nachgeht. Von „Bausteinen für die Hauptstadt“, der „sozialen Verpflichtung der Architekturen“ und von „der Vielfalt des modernen Bauens“ ist die Rede in Kommentaren zu den rund zwei Dutzend Ostberliner Bauwerken, die als Symbole der „Ostmoderne“ vorgestellt werden. Und die Fotografien selbst sind meist aus längst vergangenen Zeiten, wo Ostberlin als Baustelle des Aufbruchs für ein besseres Leben inszeniert worden war: modern, luftig, schnittig unter tiefem blauen Himmel.

Dennoch: Die Ausstellung des Deutschen Werkbundes Berlin zielt zuerst auf ein berechtigtes Anliegen. Während die Nachkriegsarchitektur im Westteil der Stadt umfassend dokumentiert und das Bauen in Ostberlin meist auf den „stalinistischen Zuckerbäckerstil“ oder die „Platte“ reduziert wurde, klafft noch eine Lücke in der Bestandsaufnahme und Wertung der Ostberliner Moderne bis 1965, sagen die Ausstellungsmacher.

Zwischen 1946 und 1960 habe das Bauen – unterbrochen von der Phase des Traditionalismus – in diesem Teil der Stadt zur internationalen Bewegung der Nachkriegsmoderne gehört, auch die Entstehungsgeschichte schon verlorener Bauten dürfe nicht vergessen werden.

Das ist richtig, kennt doch ein Neuberliner kaum das modernistische Architekturkonzept von Selman Selmanagic für das Stadion der Weltjugend (1950), das Anfang der 90er-Jahre abgerissen wurde. Erich Mielkes Ministerium für Staatssicherheit (1961) oder dem Tränenpalast (1962) als Beispiele einer gläsernen, offenen Architektur begegnet man heute unter ganz anderen Vorzeichen.

Zugleich sind viele Architekten und Planer nicht mehr bekannt: etwa Wolfgang Wunsch, der 1951 das elegante Fernsehzentrum aus Turm- und Flachbauten in Adlershof entwarf. Oder Ludmilla Hertzenstein, welche die am Bauhausstil orientierten Laubenganghäuser an der Stalin-Allee baute.

Und schließlich droht vielen DDR-Bauten der späten Moderne die Verwahrlosung oder der Abriss – siehe das frühere Außenministerium der DDR, das Restaurant „Ahornblatt“, der Palast der Republik oder das abgewickelte Rundfunkgelände in der Nalepastraße – von vielen Wohnbauten, Geschäften, Freizeit- und Sportanlagen ganz zu schweigen.

Einerseits ist es gut, dass die Schau ausgewählte Architekturen wie das Kino International und wenig bekannte Schulen, öffentliche Bäder, Wohnsiedlungen in Friedrichshain als architektonische Chiffren der Nachkriegsmoderne, der Sachlichkeit und der schnittigen Funktionalität präsentiert. Andererseits ist es fragwürdig, den politisch-ideologischen Kontext des Ostberliner Städtebaus auszublenden. Der ersten Zerstörung durch die Bomben des Zweiten Weltkriegs ließen die politischen und architektonischen Baumeister eine zweite folgen. Der historische Berliner Stadtgrundriss wurde – als wäre er kontaminiert – zu weiten Teilen ausradiert, große verkehrsgerechte Trassen und Aufmarschplätze wurden geschaffen, sowie Blöcke im industriell vorgefertigten Verfahren von schlechter baulicher Substanz hineinoperiert. Architekten am Reißbrett gebärdeten sich wie Militärs über Operationsplänen. Entwürfe kannten kaum Rücksichten.

Es tut schon weh, dass angesichts dieser längst bekannten Tatsache – die auch für Westberlin gilt –, eine Ausstellung derart kommentarlos über solche Planungssünden hinweggeht. Der zweite Abschnitt der Karl-Marx-Allee, Teile des Alexanderplatzes oder die Plattenriegel in Friedrichshain werden von den Kuratoren eingereiht in die Liste der Ostmoderne mit scheinbar harmlos-schönem Charakter. Das liegt – bei allem Respekt – schon nahe an der Verdummung. Den gefährdeten Symbolen der Ostmoderne tun sie damit nur eingeschränkt den Gefallen öffentlicher Aufmerksamkeit. Die Aufarbeitung einer ungeliebten baulichen Vergangenheit des Ostens wurde wieder nicht eingelöst.

Die Ausstellung „Ostmoderne“ hat noch bis zum 10. Juni 2004 geöffnet.