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Minister pokern um Milliarden

Ein verfassungskonformer Haushalt muss her. Wochenlang hatte Finanzminister Eichel deshalb mit seinen Kabinettskollegen gefeilscht. Gestern sagte Sozialministerin Schmidt immerhin zu, auch mitzusparen – aber nicht so viel, wie Eichel braucht

aus Berlin HANNES KOCH

Das Bundeskabinett hatte gestern massive Probleme, das riesige Defizit im Bundeshaushalt zu decken. Erst spät am Nachmittag wurde vermeldet, dass Sozialministerin Ulla Schmidt (SPD) zwar bereit sei, einen bestimmten Beitrag zu leisten – dieser liege jedoch weit von den von Eichel ursprünglich verlangten 7 Milliarden Euro entfernt. Im Gespräch waren eher 2 Milliarden Euro.

In Chefgesprächen mit den Kabinettskollegen hatte sich Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) zwei Wochen lang bemüht, den Bundeshaushalt 2004 zusammenzustellen. Nach Eichels Planungen könnten Rentner im kommenden Jahr nur eine geringe oder gar keine Erhöhung ihrer Bezüge erhalten. Ulla Schmidt dementierte gestern Nachmittag, dass sie sich mit einem derart harten Einschnitt abfinden wolle.

Welche Kürzungsmaßnahmen nun nach ihrer Sparzusage konkret ihren Etat betreffen werden, das soll erst am Wochenende beschlossen werden. Auch war unklar, wo Eichel das Geld herbekommt, das Schmidt nicht aufbringt.

Auf diese Weise blieb zunächst weiterhin offen, wie Eichel für 2004 einen verfassungskonformen Haushalt aufstellen will. Dazu müsste die Neuverschuldung unter der Summe für Investitionen, also bei höchstens 26 Milliarden Euro liegen. Um dieses Ziel zu erreichen, muss Eichel nach eigenem Bekunden 12 bis 15 Milliarden Euro aus dem Haushalt herauskürzen. Denn augenblicklich liegt das Defizit bei rund 40 Milliarden Euro.

Dass es sich dabei um eine Summe handelt, die eigentlich kaum noch zu beherrschen ist, haben Regierungsmitglieder schon vor geraumer Zeit eingeräumt. „Das ist ein ehrgeiziges Ziel“, sagte nicht nur die grüne Fraktionschefin Krista Sager. Eichel ist deshalb in den vergangenen Wochen von einem Kabinettsmitglied zum anderen getingelt, um hier ein paar hundert Millionen und dort eine Milliarde einzusammeln. Teilweise scheint ihm das auch gelungen zu sein. Aus Kreisen der Grünen hieß es gestern, Teile der Eigenheimzulage und der Förderung für Agrardiesel stünden auf der Abschussliste. Zumindest für die erste Position lassen auch manche Ministerpräsidenten der Union Sympathie erkennen.

Die Anspannung nach der problematischen Kabinettssitzung vom Vormittag – als Schmidt noch keine Zugeständnisse machte – stieg auch deshalb, weil Eichel mit hohem Einsatz spielte. Mehrmals hatte er erklärt, dass die Summe der Verschuldung in jedem Fall unter den Investitionen bleiben solle – was eine Kürzung bei der Rente mehr oder weniger unausweichlich macht.

Könnte sich der Finanzminister damit nicht durchsetzen und müsste er in 2004 mehr Schulden als 26 Milliarden Euro aufnehmen, würde ihm das die Opposition als weiteres gebrochenes Versprechen auslegen. Und davon hat Eichel in letzter Zeit einige vorzuweisen. Die Wachstumsprognose für 2003 und die Einhaltung der Maastricht-Kriterien sind nur zwei von mehreren Positionen, die Eichel nach langem Widerstand geräumt hat. Und auch die EU-Kommission würde vermutlich nicht mehr allzu lange stillhalten.

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