: „Der Bund muss führen“
Renate Künast hat als Agrarministerin viel in Brüssel zu tun, deshalb will sie den Einfluss der Bundesländer in der Europapolitik zurückdrängen
INTERVIEW CHRISTIAN RATH
Frau Künast, die Föderalismuskommission geht in die entscheidende Phase. Doch an diesem Freitag wird sie sich erst mal mit der EU-Politik von Bund und Ländern beschäftigen. Ein Nebenkriegsschauplatz?
Renate Künast: Überhaupt nicht. Für mich und viele andere in der Kommission ist das ein zentraler Punkt. Wir müssen die Aktionsfähigkeit Deutschlands in Brüssel stärken. Ein Großteil der politischen Entscheidungen fällt schließlich dort und nicht in Berlin.
Die Länder fordern eine Änderung des Grundgesetzes. Sie wollen häufiger selbst verhandeln, wenn es in Brüssel um ihre Angelegenheiten geht – oder zumindest dem Bund strikt die Verhandlungslinie vorgeben. Was halten Sie davon?
Wenig. Wenn schon über eine Änderung des Grundgesetzes diskutiert wird, dann müsste eher der Bund gestärkt werden.
Warum?
Die Länder haben oft große Schwierigkeiten, sich untereinander zu einigen, denn ihre Interessen sind sehr unterschiedlich. Deshalb fasst der Bundesrat seine Beschlüsse zu EU-Vorhaben oft zu spät – obwohl es doch wichtig ist, frühzeitig die eigenen Interessen anzumelden. Außerdem muss man flexibel sein, wenn es um die Suche nach Mehrheiten geht. Da muss man Bündnisse schließen und Kompromisse suchen. Gerade in der Schlussphase von Verhandlungen kann sich die Lage wöchentlich oder sogar täglich ändern. So schnell kann der Bundesrat gar keine neuen Vorgaben beschließen.
Schon heute muss die Bundesregierung bei Verhandlungen in Brüssel die Voten des Bundesrates „maßgeblich“ berücksichtigen, wenn vor allem Interessen der Länder berührt sind. Ist Ihnen diese Ländermitwirkung lästig?
Wenn der Bundesrat seine Mitwirkungsrechte so wahrnehmen würde, wie es im Grundgesetz vorgesehen ist, dann stünde Deutschland oft in der Ecke und könnte an der Kompromissbildung überhaupt nicht teilnehmen. Dann würden allerdings auch die Interessen der Länder unter den Tisch fallen.
Und wie sieht dann die Praxis aus?
Die Länder treiben den Streit darum, ob ihre Position im Einzelfall maßgeblich zu berücksichtigen ist, meist nicht bis zum Äußersten. Denn sie haben gemerkt: mit allzu starren Positionen schaden sie sich letztlich selbst.
Der Bund hat also freie Hand, auch wenn massiv Interessen der Länder betroffen sind?
Der Bund berücksichtigt natürlich die Interessen der Länder. Sie werden ständig über den Stand der Verhandlungen informiert, zum Beispiel durch Telefonkonferenzen. Einzelne Vertreter sind sogar in der deutschen Verhandlungsdelegation beteiligt, also ganz nah dran.
Man könnte ja in passenden Fragen auch gleich einen Ländervertreter verhandeln lassen. Laut Grundgesetz ist das heute schon möglich …
Davon wird aber kaum Gebrauch gemacht. Vermutlich, weil es ein Landesminister auch nicht leichter hat, alle 16 Bundesländer mit ihren oft diametralen Interessen zu vertreten.
Man könnte mal den einen, mal den anderen Minister schicken.
So kommt man aber nicht weit. In Brüssel läuft in entscheidenden Verhandlungsphasen viel über persönliche Gespräche. Da müssen sich die Minister kennen und vertrauen, deshalb ist auch personelle Kontinuität sehr wichtig. Außerdem kann ein Landesminister nicht sinnvoll über Pakete verhandeln.
Welche Pakete?
In der EU werden häufig Kompromisse für mehrere Vorhaben gemeinsam ausgehandelt – manchmal sogar über Ressortgrenzen hinweg. So etwas kann nur in der Bundesregierung vernünftig koordiniert werden. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Interessen anderer Mitgliedstaaten auch Auswirkungen – in der Regel finanzielle – auf uns haben. Hier müssen „Risiken und Nebenwirkungen“ genau beachtet werden.
Wie kann die Bundesregierung in Brüssel Interessen der einzelnen Länder berücksichtigen, wenn sie andere Ziele hat? Oft besteht im Bund ja eine andere politische Mehrheit als im Bundesrat.
Viele Landesinteressen sind struktureller Art, da kommt es nicht auf die jeweilige Regierung an. Aber wenn es grundsätzlich unterschiedliche politische Auffassungen gibt, dann muss der Bund natürlich seinen eigenen Zielen folgen.
Ein Beispiel?
Bei der EU-Agrarreform vor drei Jahren wollte die rot-grüne Bundesregierung einen Strukturwandel voranbringen. Prämienzahlungen sollten nicht mehr an die Produktionsmenge, sondern an die Qualität der Waren sowie an eine umwelt- und artgerechte Produktionsweise gekoppelt werden. Doch fast alle Länder agierten von Beginn an als Bremser. Wäre ihre Position für Deutschland maßgeblich gewesen, dann hätte es diese notwendige Reform nicht gegeben. Gut also, dass der Bund die deutsche Verhandlungslinie bestimmen konnte. Man muss führen, wenn man die Welt verbessern und verändern will.
Der Bund weiß also besser, was gut für Deutschland und Europa ist?
Die gesamtstaatliche Verantwortung – nicht zuletzt für die Kosten – liegt nun mal bei der Bundesregierung. Dafür ist sie legitimiert und wird auch vom Bundestag kontrolliert.
Bei einer Anhörung im letzten Herbst haben zahlreiche Sachverständige gefordert, die Länderrechte in EU-Angelegenheiten, die ja erst 1993 im Grundgesetz verankert wurden, wieder zu stutzen. Schließen Sie sich dem an?
Niemand in der Bundesregierung will in die Zeit zurück, als die Länder an Brüsseler Vorhaben gar nicht beteiligt wurden. Aber es muss klar sein, dass es für Deutschland besser ist, wenn die Verhandlungsführung beim Bund liegt. Und das sage ich nicht leichtfertig. Immerhin war ich bis vor vier Jahren selbst Landespolitikerin.