Erfolg durch Sinnstiftung

In der Werkstatt „Touch“ stellen ehemals Drogenabhängige Hilfsmittel für Blinde, Seh- und Mehrfachbehinderte her

von Kathleen Fietz

Kalle, der Knopf, wandert über eine Wiese aus rotem Filz, streift durch Bindfädenwälder und versteckt sich in einer Frotteehöhle. Kalle Knopf ist ein Tastbuch für sehbehinderte und blinde Kinder, das in der Werkstatt „Touch“ in Barmbek hergestellt wird. Katharina beklebt eine Seite aus dicker Pappe mit großen Buchstaben und legt darüber eine Folie mit tastbarer Braille-Schrift. Andere Seiten beklebt sie mit Filz, einem Waschlappen und anderen natürlichen Materialien, so dass Kalles Erlebnisse für die kleinen Leser fühlbar werden.

„Ich bin auf Therapie und mache hier seit einem Monat ein Praktikum“, erzählt die 16-jährige Katharina. Sie lebt im „come in“, einer Fachklinik und heilpädagogischen Wohngemeinschaft für drogenabhängige Kinder und Jugendliche. Zusammen mit fünf anderen Jugendlichen nimmt sie im Rahmen einer Drogentherapie an einem Arbeitstraining teil.

In der Werkstatt „Touch“ entwerfen, produzieren und vertreiben Fachleute gemeinsam mit ehemals drogenabhängigen Jugendlichen und Erwachsenen Hilfsmittel für Blinde, Seh- und Mehrfachbehinderte. Bei einem Schachspiel sind die schwarzen Felder des Spielbretts erhöht, die Figuren können in die Spielfelder gesteckt werden, und die Ränder sind mit Ziffern und Buchstaben in Blindenschrift markiert. Neben Gesellschaftsspielen und Büchern stellt „Touch“ Lehr- und Lernmittel für den Schulunterricht an Blindenschulen her, etwa eine ertastbare Weltkarte. Der Verkaufsrenner bei den Spezialmöbeln für Mehrfachbehinderte ist der „Little Room“, ein Holzkasten, in dem Bürsten, kleine Teddys und Ringe hängen und in den Kleinkinder hineingelegt werden, die sich nicht fortbewegen können. „Wenn ein Kind nicht zum Raum kommen kann, muss der Raum zum Kind kommen“, erklärt Werkstattleiter Martin Beyer. Mit den greifbaren Gegenständen könne den Kindern eine Umgebung angeboten werden, die zur eigenen Aktivität anrege.

Angefangen vor 14 Jahren als ABM-Projekt für arbeitslose Jugendliche des Stadtteils Barmbek, arbeitete die Werkstatt eng mit der Blindenschule am Borgweg und deren Fördervein „Freunde blinder und sehbehinderter Kinder“ zusammen. Das Projekt wurde für das Arbeitsamt und die Sozialbehörde aber bald zu teuer, und beide stiegen aus der Finanzierung aus. 1994 fand sich in der „Therapiehilfe“, einem Hamburger Netzwerk zur Hilfe Drogenabhängiger, ein neuer Träger. Seitdem bietet die Werkstatt jeweils sechs cleanen Jugendlichen und vier Erwachsenen ein Arbeitstraining in geschütztem Rahmen an.

„Wir sind zwar ein Übungs- und Qualifizierungsprojekt“, sagt Beyer, „aber dadurch, dass wir marktorientiert und wie ein Gewerbebetrieb arbeiten, sind wir authentisch für die Praktikanten. Ihre Aufgaben sind nicht konstruiert.“

Seit fünf Jahren hat die Werkstatt ebenfalls die Möglichkeit, TischlerInnen auszubilden. Der Auszubildende, der jetzt im 2. Lehrjahr ist, ist auch über das „come in“, wo er seinen Hauptschulabschluss gemacht hat, zur Werkstatt gekommen. Zuerst als Praktikant, dann hatte er mit seiner Bewerbung Erfolg. Inzwischen lebt er in einer eigenen Wohnung. „Nach der Lehre will ich als Tischler arbeiten oder noch mal zur Schule gehen“, so der 19-Jährige.

In Kooperation mit der Beschäftigungsgesellschaft „Hamburger Arbeit“ absolvieren außerdem jeweils sechs langzeitarbeitslose Sozialhilfeempfänger ein Arbeitspraktikum in der Werkstatt. Die meisten sind Tischler, die zusammen mit den drei Festangestellten für die fachlichen Arbeiten zuständig sind, die die ehemals Drogenabhängigen nicht leisten können. „Durch diese qualifizierte Arbeit können wir die Praktikanten und Auszubildenden in einen funktionierenden Rahmen einbinden“, erklärt Werkstattleiter Martin Beyer.

Fast 50 Prozent der Kosten kann die Werkstatt durch ihre Produktion und den Vertrieb selbst erwirtschaften, der Rest wird von den Trägern unter anderem mit EU-Geldern finanziert. Durch die fehlenden öffentlichen Gelder ist die Finanzierung aber immer nur für ein Jahr gesichert, und die Werkstatt muss immer wieder auf die Suche nach neuen Förderern gehen.

Fast alle Jugendlichen kommen aus Familien, wo die Eltern ebenfalls drogenabhängig waren. Die meisten sind bereits mit elf oder zwölf Jahren drogenabhängig und später auch straffällig geworden. In der Werkstatt sollen sie lernen, pünktlich zu sein, Vorgesetzte zu akzeptieren und Konflikte ohne Aggressionen zu lösen. „Die Jugendlichen werden gleichzeitig mit sozialen und handwerklichen Kompetenzen ausgestattet. Vor allem der sinnstiftende Aspekt der Arbeit strahlt auf die Therapie zurück“, so der Werkstattleiter.

Kontakt und Infos unter: ☎ 227 96 32 und www.touch-hh.de.