: Lautmahlerei in der Nacht
Sie wissen nichts davon, doch immerhin jeder zwölfte Bundesbürger knirscht im Schlaf mit den Zähnen. Dabei sollte Bruxismus möglichst früh behandelt werden. Ansonsten droht der vorzeitige Verschleiß von Gebiss und Kiefergelenken
von Stephanie Janssen
Die Zahnärztin blickt nur einmal in den Mund und macht dann die Probe aufs Exempel: „Bitte knirschen Sie doch mal mit den Zähnen.“ Ertönt ein Geräusch wie Kreide auf der Schiefertafel und sind Zähne oder Zahnschmelz unnatürlich abgeschliffen, ist der Fall klar: Der Patient leidet unter Bruxismus, so der Fachbegriff für das Zähneknirschen.
Der Mund- und Kieferchirurg Jörg Schlieper sagt, dass jeder zwölfte Deutsche im Schlaf mit den Zähnen knirscht – doch viele Betroffene wissen gar nichts davon. Manche wachen mit Kopfschmerzen oder einem verspannten Hals auf und denken eher an eine falsche Schlafposition als an ihre nachtaktiven Zähne. Doch eine frühe Diagnose ist auch beim Bruxismus wichtig, denn Dauerknirscher schaffen es, die Zähne bis auf den Stumpf abzureiben und durch den permanenten Druck das Kiefergelenk frühzeitig zu verschleißen.
Bruxismus gehört zu den Parasomnien – so nennt man Erscheinungen, die nicht in den normalen Schlaf hinein gehören – und tritt oft phasenweise bei Stress im Job oder bevorstehender Prüfung auf. Für den Zahnarzt Rudolf Völker spielt die psychische Komponente eine große Rolle. Ein gesunder Mensch hat am Tag nur etwa 15 Minuten direkten Zahnkontakt zwischen Ober- und Unterkiefer. Bei entspanntem Schlaf befinden sich die Zähne mit einem Hauch Abstand voneinander in der sogenannten Ruhe-Schwebelage. „Knirscher sind grundsätzlich in einer Situation, die sie überfordert“, sagt Völker. „Wenn dann ein Mensch passiv bleibt, er also kein Ventil finden kann, entlädt sich der Druck in diesem selbstzerstörerischen Vorgang.“ In extremen Fällen sollten sich die Patienten psychologische Hilfe suchen.
Besonders häufig sind Frauen von Bruxismus betroffen. Sie werden eher dazu erzogen, ihre Aggressionen zu unterdrücken, die sich dann nachts ihren Weg über das Gebiss bahnen. Die Techniker Krankenkasse rät Knirschern zu Entspannungsübungen oder autogenem Training. Tagsüber sollten Betroffene sich selbst beobachten und versuchen, die Kiefermuskeln bewusst zu lockern. Einen anderen Weg bieten sogenannte Eutonie-Übungen, die auch speziell für Zähneknirscher angeboten werden. Hier lernen die Patienten, eine gesunde Körperspannung in Gesicht und Kiefer aufzubauen. Die in Kursen entwickelten Übungen kann jeder zu Hause nachmachen.
Erste Anzeichen, um Knirschen festzustellen, sind eine höhere Kältempfindlichkeit der Zähne, Verspannungen der Kaumuskeln oder des Nackens und Kopfweh. Häufig beschwert sich auch der Partner morgens über lautstarkes Mahlen in der Nacht. Wer glaubt zu knirschen, geht am besten möglichst bald zum Zahnarzt. Der prüft, ob zu hohe Füllungen oder schiefe Zähne das Zusammenspiel zwischen oben und unten stören. Häufig passt er eine Kauschiene an, so dass der Patient beim Knirschen nachts den Kunststoff statt der eigenen Zähne abschleift. Zusätzlich schafft die Schiene einen Abstand zwischen den Zähnen. Damit drückt der Unterkiefer nicht mehr bis zum Anschlag auf den Oberkiefer, der Druck auf das Kiefergelenk wird verringert und der Verspannungsschmerz löst sich.
Wer aber beim nächtlichen Besuch am Kinderbett sein Baby knirschen hört, muss nicht fürchten, dass die Krabbelgruppe zu stressig war. Für Kleinkinder sind die neuen Zähne oft noch Fremdkörper, an die sie sich durch die Reibung gewöhnen. „Sie nehmen damit eine Art Feineinstellung der Zähne vor, bis es passt.“ Deshalb, so Völker, tritt normales Kinder-Knirschen auch nur vorübergehend auf.