: Von Würsten und Weinen
Kiez-Cuisine IV: Die Pestalozzistraße ist ein echtes Stück Berlin mit italienischem Einschlag. Und der Markt am Karl-August-Platz der schönste der Stadt. Ein kulinarischer Spaziergang in Charlottenburg
VON STEFFEN GRIMBERG
Der Abend beginnt mit einer Enttäuschung: Laurenz Meyer ist nicht da. Wer hatte noch gleich erzählt, der CDU-Generalsekretär verkehre in der Dicken Wirtin am Savignyplatz? Schicke seine Personenschützer kurz vor, um zu gucken, ob es auch nicht zu voll ist? Passen tut’s jedenfalls: Ein im besten Sinne „echtes“ Stück Berlin (West). Gediegene Gemütlichkeit, bodenständige Küche, und ein schnoddrig-herzliches Willkommen für jedermann. Selbst CDU-Generäle. Uns bleibt ein kleines Bier.
Gleich gegenüber am Platz liegt noch so eine Legende, der Zwiebelfisch. Ab Mitternacht schon die Zeitungen von Morgen, Küche bis nachts um drei, – ohnehin eine legendäre Adresse für Nachtschwärmer. Aber es ist noch früh, und was liegt eigentlich hinter so einer Legende wie dem Savignyplatz mit seiner Kneipendichte? Die kulinarische Einöde? Die gastronomische Wüste? Das kulturelle Nichts?
Irrtum: Es ist die Pestalozzistraße. Gleich auf der Ecke zur Bleibtreustraße lockt das A-Trane beinahe täglich mit Live-Jazz, und auch das kulinarische Angebot im Kiez kann sich sehen lassen: Wiederum gegenüber sorgt die Trattoria Toto (Bleibtreustraße 55) für italienisches Flair. Und ein Stück die Straße runter macht einen der Wasserladen H2O nass: Er war 1997 „das erste Fachgeschäft für besseres Trinkwasser in Deutschland“ (Eigenwerbung). Und bietet seitdem alles von sinnvoller Filtertechnik und Wasser-Wellness bis hin zu eher feucht-esoterisch angehauchtem Zubehör.
Wellness schön und gut, mag jetzt mancher rufen: Ist in der Ecke nicht aber auch die „Erste Produktionsstätte der Berliner Currywurst“, wie ein Schild an der Pestalozzistraße 103 stolz verkündet? – Genau. Hier wird seit 50 Jahren Wurst und Co. produziert, für Selbstabholer ist ab 6 Uhr früh (aber nur bis mittags) geöffnet. „10 Curry mit Flasche Ketchup“ kosten 5 Euro – kalt, versteht sich. Wem die Urberliner ohne Darm zu piefig sind, der geht eben auf die andere Straßenseite. „Coffee & Food“ steht da als Motto über dem Gusto (Pestalozzistraße 3), und vor allem das Food hat es in sich: Wie wär’s also passend zur Jahreszeit mit Spargel zu Raclette-Käsesauce, in Honig gebackenem Schinken und Kartoffel-Kapern-Salat? Und sage bloß keiner, die Wissenschaft habe im Kiez keine Chance: Hier gibt es sogar ein Fachgeschäft für Doktorarbeiten. Dissertation.de bietet Druck nebst Online-Veröffentlichung. Nur schreiben muss man noch selbst. Und dann kann gefeiert werden. Ein Stückchen weiter auf der Ecke im Ristorante La Grande Famiglia Pascarella (Schlüterstraße 69). Stilecht unter Kronenleuchtern bei feiner italienischer Küche und einer großzügigen Weinauswahl. (Wem das zu schnieke sein sollte: Der zweite Laden der Familie Pascarella, La Cantina, ist auch nicht weit – Bleibtreustraße 17 – und bietet urige Trattoria-Atmosphäre.)
Einen höchst angenehmen Bazillus kann man sich im gleichnamigen Lokal (Schlüterstr. 67) einfangen: Den, der Appetit auf österreichische Küche macht. Mit vielen Kerzen auf dem Tisch. Und mit großer Pasta-Auswahl für Nichtösis. Läuft hier ohne italienische Anklänge etwa gar nichts? Keine Panik: Ab zum Griechen! Am Kiezrand (Schillerstr. 103) bietet die Taverna Kreta seit über 20 Jahren nicht die üblichen Grillfleischberge, sondern endlich mal auch die zu Unrecht oft vergessenen Back- und Schmorgerichte der griechischen Küche. Und Fisch. Vor allen Dingen Fisch.
Wen – tagsüber auf der Pestalozzistraße unterwegs – der kleine Hunger packt: Bei Delikatessen (Pestalozzistr. 95) gibt es Hervorragendes auf die Hand – und mediterrane Feinkost satt. Olivenöl aus Direktimport vom Faß gefällig? Oder endlich mal nicht überteuerter Risotto-Reis? – Alles da, sowie die notwendigen Kleinigkeiten des Alltags, vom Rügener Boddenkäse bis zur Frischmilch. Bio, versteht sich. Mit passenden Wein versorgt man sich hier – oder bei Vinalia (Pestalozzistr. 85). „Europa mit ein paar Ausnahmen“ ist das Konzept. Und alles schon mal selbst getrunken: „Das ist so vielfältig, da braucht man nicht um die halbe Welt zu gondeln“, sagt Inhaberin Cornelia Biermann-Gräbner. Dafür hat sie auch Weine aus Gegenden im Angebot, an die sich andere immer noch nicht (wieder) rantrauen – Ungarn zum Beispiel. Regelmäßige Weinproben (Programm: www.vinalia-berlin.de) runden das Angebot ab. Kurz vor dem Ende der Pestalozzistraße stellt sich dann die entscheidende Frage des Kiezrundgangs: Gibt es an einem Samstag etwas Schöneres als den Winterfeldt-Markt in Schöneberg? Wenn wir ehrlich sind, ja: den Markt auf dem Karl-August Platz in Charlottenburg.