Allzeit bereit zum Sturz

Das Volksbegehren „Soziales Berlin“ rüstet sich zur Abwahl des rot-roten Senats. Der Weg dahin ist weit, einige der Partner komisch oder kritisch, und alte Kämpen, wie Peter Grottian, lachen nur laut

VON FELIX LEE

Perspektiven haben Hochkonjunktur. Spätestens seit dem 3. April, als eine halbe Million Menschen gegen die rot-grüne Agenda 2010 auf die Straße gingen, stelle sich landauf- und -ab bei den Aktivisten die Frage: Wie soll der Protest fortgeführt werden? In Berlin hat eine Hand voll Aktivisten eine Perspektive bereits in die Wege geleitet. Ihr Plan: Erst wollen sie mit einem Volksbegehren den rot-roten Senat kippen. Und dann bei Neuwahlen mit einer eigenen „Wahlalternative“ antreten.

Sie – das sind Aktivisten um den ehemaligen Grünen-, später dann PDS-Politiker Michael Prütz, die auf einer Veranstaltung in der Humboldt-Universität ein etwa 80-köpfiges, bunt zusammengewürfeltes Publikum abstimmen ließen. Bei nur sechs Gegenstimmen wurde das Volksbegehren „Soziales Berlin“ durchgepeitscht. Ein halbes Jahr haben sie nun Zeit, um in einer ersten Stufe mindestens 50.000 Unterschriften zu sammeln, für die zweite Stufe benötigen sie 480.000, bis es tatsächlich zu einem entsprechenden Volksbegehren kommen soll.

Der Forderungskatalog auf der verabschiedeten Resolution ist lang: Rücknahmen der Kürzungen im Bildungs- und Kultur- und Sozialbereich, ein Stopp der Privatisierung bei den Krankenhäusern, der BVG und der GSW, die Rücknahme des Risikoabschirmungsgesetzes für die Bankgesellschaft sowie die Rückkehr des Landes in den kommunalen Arbeitgeberverband. „Wenn der rot-rote Senat diese Bedingung nicht erfüllt, sind wir bereit, diesen Senat zu stürzen“, sagte Prütz.

Ersten Zuspruch erhielten Prütz und Co. ausgerechnet von der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Sie sprach sich bereits Mitte der Woche für ein Volksbegehren aus, um in der Hauptstadt Neuwahlen herbeizuführen. Die Erziehungsgewerkschaft GEW will im Sommer entscheiden. Und auch die Grauen Panther sind schon eifrig dabei, Unterschriften zu sammeln.

„Ich will den Prütz und die GdP mal an einem Tisch sitzen sehen“, sagte ein aufgebrachter Peter Grottian nach der Veranstaltung. Der FU-Professor hatte sich zuvor vehement gegen das Volksbegehren und die Wahlinitiative ausgesprochen. Er habe nichts gegen eine symbolische Präsenz im Abgeordnetenhaus. Der Schwerpunkt müsse aber im außerparlamentarischen Protest liegen. So, wie aber sein jahrelanger Mitstreiter Prütz diese Initiative angeht, sei es „dilettantisch“. Weder gebe es eine funktionierende Infrastruktur noch ein klares Konzept, was sie auf parlamentarischer Ebene überhaupt erreichen wollen. „Die wissen doch nicht mal, was sie den Leuten an den Ständen erzählen sollen“, sagte der erfahrene Daueraktivist Grottian. Er zählt genau 11 Personen, die 250.000 Unterschriften zusammentragen sollen.