: Die neue Bundeslatenightvorsitzende
Am Montag, 23.15 Uhr, ist Anke Engelke erstmals mit ihrer Sendung „Anke Late Night“ auf Sat.1 zu sehen. Alle erwarten Großes – die Late Night Show ist schließlich eine nationale Institution. Oder?
VON STEFAN KUZMANY
Wir werden sehen. Es ist ja nur eine Fernsehsendung. Genauer: die deutsche Version eines amerikanischen Fernsehformats namens Late Night Show. Und doch könnte man meinen, es ginge um ein wirklich wichtiges Amt, sagen wir mal, um das des Bundespräsidenten, so wie seit Monaten gestarrt wird auf dieses Schwarze Loch um 23.15 Uhr im deutschen Fernsehprogramm, wie sich erregt wurde über die Absetzung der „Harald Schmidt Show“, wie spekuliert wird über das, was danach kommen mag. Wie sonst nur eine Spitzenpolitikerin wurde die einzige Kandidatin für den Bundeslatenightvorsitz, eine junge Frau von 38 Jahren namens Anke Engelke, seit Monaten in Zeitungen und Zeitschriften beschrieben, analysiert, geprüft.
Die Prüfung
Wir wissen, das sie als kleines Mädchen mit Heino gesungen hat, dass sie als Teenager gemeinsam mit einem langhaarigen Hund das ZDF-Ferienprogramm moderiert hat, dass sie später mit den Comedy-Sendungen „Wochenshow“ und „Ladykracher“ auf Sat.1 erfolgreich war, dass sie eine Tochter hat, der sie auch eine Schwester ist, und einen Freund, der die Musik in ihrer neuen Sendung machen wird. Der Spiegel, die Zeit, der Stern und auch die Emma bemühten sich erfolgreich um Interviews mit Engelke, in welchen sie ausufernd über sich selbst, ihren Humor, ihre Pläne und den Zustand der deutschen Fernsehunterhaltung Auskunft gab. Die Fachzeitschrift TV Today gab gar bei Emnid eine Umfrage in Auftrag und wollte von 1.003 Bundesbürgern wissen, ob Anke Engelke als Nachfolgerin von Harald Schmidt scheitern wird. Nur 16 Prozent glaubten das nicht, und auch dieses Ergebnis war eine Nachricht.
Vielleicht ist diese übergroße Aufmerksamkeit ein Zeichen dafür, dass es hier um mehr geht als nur um eine Fernsehsendung. Dass die Late Night Show nicht nur ein Angebot ist, in das man hinein- und aus dem man wieder herauszappt, sondern ein Ort, an dem zu einem festen Zeitpunkt täglich und verlässlich die Dinge verhandelt und bewertet werden, die den Zuschauer bewegen, die Reformpolitik genauso wie die Eskapaden eines Dieter Bohlen, das Versagen der deutschen Fußballer ebenso wie die Fusion zweier Konzerne. Die Late Night Show ist eine nationale Institution, eine „Instanz der Bundesrepublik zur satirischen Begleitung des Zeitgeschehens“ (FAZ), eine „Deutungsmacht“ (wieder FAZ). Aber mal langsam. Die Kollegen aus Frankfurt haben mit ihren hochtrabenden Worten Harald Schmidt gemeint, genauer: Harald Schmidt in seiner Spätphase, und auf den kommen wir erst später.
Zunächst einmal ist die Geschichte der Late Night Show in Deutschland eine Geschichte der Misserfolge. Einen ersten, durchaus gelungenen Versuch startete Rudi Carrell 1981 mit seiner „Tagesshow“. Das große Scheitern begann 1992 mit Thomas Gottschalk. Da hatte sich RTL vorgenommen, auf dem deutschen Markt ein Format zu installieren, das seit Jahrzehnten verlässlich zum Fernsehalltag der USA gehörte, das von seinen Vertretern Johnny Carson, Jay Leno und David Letterman in eine seither kaum veränderte Form gegossen worden war: Ein Mann sitzt an einem Schreibtisch vor einer stilisierten nächtlichen Skyline, nippt an seinem Glas Wasser, kommentiert scharfzüngig das politische und sonstige Tagesgeschehen, parliert mit Gästen, die neben ihm auf einem Sofa Platz nehmen, seine Band spielt den einen oder anderen Tusch, und ab und an tritt jemand auf, singt und hält seine neue CD in die Kamera.
Mit Gottschalk in Deutschland klappte das nicht. Schon lange bevor er sich in seiner Sendung von seinem Talkgast Franz Schönhuber vorführen ließ, ahnte man, dass der blond gelockte Unterhaltungskünstler nicht das Format hat, über die reine Unterhaltung hinaus den Fernsehabend zu bereichern. 1995 wurde Gottschalk von Thomas Koschwitz abgelöst. Der war noch nicht einmal mehr unterhaltsam. Die Sendung wurde eingestellt, die deutsche Late Night Show schien endgültig gescheitert. Doch Ende 1995 wagte sich Sat.1 an das totgeglaubte Konzept, schickte Harald Schmidt viermal die Woche auf Sendung.
Über die Jahre entwickelte er seine Show, kopierte zunächst nicht besonders gut die amerikanischen Vorbilder, inszenierte später diese Kopie zur Parodie (schon besser) und erhob sich schließlich, dann fünfmal die Woche, gänzlich über das Format Late Night Show, ja über das Medium Fernsehen insgesamt. Das ist bekannt und vielfach, nach seinem Abgang möglicherweise zu oft, aufgeschrieben. Es ist seine Leistung, an der Anke Engelke nun gemessen werden wird. Als Gottschalk- oder Koschwitz-Nachfolgerin hätte sie es nur besser machen können, auch als Nachfolgerin von Schmidt, wenn dieser nach einem oder zwei Jahren aufgehört hätte, wäre ihr Lob und Beifall sicher gewesen. Doch jetzt muss sie gegen einen antreten, den sie selbst nicht müde wird, ihren „Gott“ zu nennen. Das kann ja nichts werden. Was soll die Frau denn machen? Harald Schmidts Erfolg begründete sich auf der Rolle, in die er nach einer gehörigen Anlaufzeit gefunden hatte: er machte sich nicht gemein, nicht mit seinen Gästen und schon gar nicht mit seinem Publikum. Das waren, sah man sich die Menschen an, die sich Karten für seine Show gekauft hatten und von denen manche für ein Spielchen auf die Bühne gebeten worden waren, junge Menschen, die vielleicht Jura studierten oder ihr BWL-Diplom in der Tasche hatten, Leute, die in den vorab abgehaltenen studiointernen Bundestagswahlen regelmäßig der FDP den Vorzug gaben, die gerne mit Schmidt lachten, um ein wenig wie Schmidt zu sein, ohne ihn immer zu verstehen. Das waren, sah man sich die Daten der Zuschauerforschung an, eher mal mittelalte bis alte Männer, zu mehr als drei Vierteln über dreißig Jahre alt, zu fast vierzig Prozent sogar über fünfzig, mal 1,5, mal 1,8 Millionen Menschen von den 11 Millionen, die nach 23.00 Uhr noch vor dem Fernsehgerät sitzen. Dieses Schmidt-Publikum, das kann man schon sagen, ohne eine einzige Ausgabe von „Anke Late Night“ gesehen zu haben, wird Engelke in seiner Gesamtheit nicht erreichen. Sie wird – das ist gar nicht unwahrscheinlich – ein größeres Publikum anziehen als Schmidt, wenn auch ein gänzlich anderes.
Denn Anke Engelke pflegt auch eine gänzlich andere Art der Ansprache ihres Publikums. Mit ihr lacht die ganze Familie, auf Augenhöhe, nicht von oben herab über die anderen, sondern auch über sich selbst. Sie wird nicht wie Schmidt einen Club eröffnen, zu dem die halbwegs gebildete, halbwegs intellektuelle Schicht unseres Landes unbedingt gehören wollte, auch und gerade weil sie nie wirklich so cool und reich und abgehoben sein konnte wie ihr Guru. Und vergessen wir nicht: Anke Engelke ist eine Frau. Ja, eine weitere von diesen Frauen, die in Deutschland plötzlich etwas zu sagen haben, so wie die notorische Talklady Sabine Christiansen, so wie die Bertelsfrau Liz Mohn, so wie die künftige Kanzlerin Angela Merkel und die künftige Bundespräsidentin Gesine Schwan. Der Großfeuilletonist Frank Schirrmacher wird in seinem Grab rotieren, wenn er davon erfährt. Soll er rotieren, Frau Engelke wird es machen. Sie wird es gut machen und später noch besser.
Denn auch das kann man jetzt schon schreiben, noch bevor die erste „Anke Late Night“ gelaufen ist: Am Anfang wird es heißen, sie sei zu nett, zu wenig bissig. Eben kein Schmidt. Nach einigen Wochen wird die strengste Beobachtung durch die Fernsehkritik nachlassen. Dann werden die Kritiker sporadisch noch mal nachsehen, ob sich etwas geändert hat (wird es nicht), also wird man weitere Artikel schreiben, die den eigenen ersten Eindruck reproduzieren, vielleicht wird man ihr schon nach wenigen Wochen ihr Scheitern attestieren. Und dann, nach einigen Monaten, möglicherweise erst nach zwei Jahren, wird sie sich befreit haben (kann man dann lesen) und eine neue, eigene Qualität entwickelt haben – wenn ihr der Sender so lange Zeit lässt.
Das Geschäft
Denn es ist ja so, kann man dieser Tage mal wieder oft hören, im Fernsehen gibt es keinen langen Atem mehr, und bei Sat.1 sowieso nicht. Ja früher, da sei das anders gewesen: Leo Kirch, das war halt noch ein Kaufmann, der den langfristigen Erfolg seines Unternehmens im Auge gehabt hatte und nicht nur den Wert der Aktien und die Höhe der Quoten. Kontinuität, die gibt es nicht mehr. Den Schmidt hat man noch machen lassen, aber dann kamen die neuen Herren von ProSiebenSat.1, dieser Medienmogul Haim Saban und dieser Schweizer Geschäftsmann Roger Schawinski oder wie der heißt und haben alles kaputt gemacht.
Schöne Geschichte, allein: Sie stimmt nicht. Denn selbstverständlich sollte Schmidt dem Sender Geld einbringen, und das hat er getan. Dass er seine Sendung im Laufe der Zeit zu etwas entwickelt hat, was man kurz mit dem schrecklichen Wort „Kult“ bezeichnen könnte, hat seinen Marktwert für Sat.1 gesteigert. Dafür wurde er fürstlich bezahlt. Als die Eigentumsverhältnisse bei Sat.1 wechselten und Schmidts Vertrautem, dem Sat.1-Chef Martin Hoffmann gekündigt wurde, da hätte man ihn gerne gehalten – doch er wollte nicht. Was soll also Anke Engelke tun? Muss sie darauf hinarbeiten, dass Angela Merkel bei ihr in der Sendung ihre Kanzlerkandidatur verkündet, so wie es ihr Chef Roger Schawinski gewünscht und damit den Druck noch weiter vergrößert hat? Muss sie uns Zuschauer ihren Vorgänger vergessen machen? Muss sie von der ersten Sendung an über sich hinauswachsen? Nein.
Die Aufgaben
Für ihren Sender soll sie nur eines tun: Geld verdienen, mindestens so viel, wie es Harald Schmidt getan hat. Interessant ist in diesem Zusammenhang ein letzter vergleichender Blick, diesmal auf die Werbepreise. Musste man für einen 30-Sekunden-Spot in einer der drei Werbepausen bei der „Harald Schmidt Show“ im Mai 2003 für die erste Pause 12.180 Euro bezahlen, die zweite 10.470 Euro und die dritte 7.800 Euro, sind es am kommenden Montag bei „Anke Late Night“ 12.300 Euro für die erste Pause, 10.590 Euro für die zweite und nur 6.810 Euro für die dritte – fast 1.000 Euro weniger als bei Schmidt. Man hat offenbar Angst, dass ihr gegen Ende wir, die Zuschauer, davonlaufen.
Und für uns, was soll Anke Engelke für uns tun? Sie soll uns unterhalten, wochentags am späten Abend. Mehr nicht. Wir werden sehen. Es ist ja nur eine Fernsehsendung.