: Ein Lebenstraum aus Stein
Von Leuten, die auszogen, ihr Glück auf dem Land zu suchen, und nun Urlaubern den kurzen Ausstieg ins dörfliche Leben ermöglichen. Bardou im Languedoc eignet sich zum Entspannen und Wandern mit einer Prise alternativen Lebens
VON RALF NESTMEYER
Die 60er- und 70er-Jahre waren die Zeit des Aufbruchs: Globetrotter und Hippies zogen durch die Welt, um ihren Traum von einem alternativen, ungebundenen Leben zu verwirklichen. Zum großen Tross der Aussteiger gehörten auch Klaus Ehrhardt und seine aus Amerika stammende Frau Jean, die zusammen mit ihren Kindern Europa und den Mittelmeerraum bereisten. Im Gegensatz zu den vielen Blumenkindern, die dem Müßiggang frönten, suchten Klaus und Jean nach einem Ort fernab der großen Zentren. Irgendwann verschlug es sie nach Südfrankreich, in den Haut Languedoc, wo sie den Bauern bei der Obsternte und Weinlese halfen.
Frankreich war beliebt in jenen Jahren, die französische Lebenskultur galt als Gegenentwurf zum strebsamen deutschen Arbeitsethos. Der Existenzialismus war in aller Munde, französische Autos genossen einen Kultstatus wie die legendäre „Ente“ oder der DS mit seinem Haifischmaul. Durch Zufall „entdeckten“ Klaus und Jean 1965 in einem Seitental des Jaur einen verlassenen Weiler namens Bardou. Hier wollten sie leben und arbeiten! Doch es sollten noch zwei Jahre vergehen, bis die Erhardts das am Ende eines engen Tals liegende Bergdorf samt mehreren hundert Hektar Land – Felsen, Bergweiden und Äcker, Eichen- und Kastanienwald – von einer Erbengemeinschaft nach einigem Gerangel erwerben konnten.
Das im 16. Jahrhundert gegründete Bardou war in den Sechzigerjahren kaum mehr als ein Ruinenfeld; die aus groben, kaum zugeschnittenen Steinen errichteten Häuser waren von Dornen und Hecken überwuchert und unbewohnbar. Dächer waren eingestürzt, kaputte Fenster und Türen gähnten wie dunkle Mäuler in den sonnigen Himmel des Midi. Der Verfall des Dorfes hat, wie Klaus Erhardt erzählt, Ende des 19. Jahrhunderts eingesetzt: „Die einst knapp 100 Seelen zählende Bevölkerung nahm stark ab, da die Menschen in die Ebene abwanderten. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges lebten nur noch etwa 50, größtenteils alte Menschen in Bardou. Ende der Sechzigerjahre war das Dorf bis auf einen Mann ausgestorben.“
Die neuen Dorfbesitzer machten sich sofort an die Arbeit und erfüllten Bardou mit neuem Leben. Die Häuser und Ruinen mussten mühsam von Gestrüpp befreit werden, bevor die ganze Schönheit des alten Dorfes zutage trat. Im Herbst 1968 waren die ersten vier Häuser notdürftig hergerichtet, sodass sie bewohnt werden konnten. Ein Ende schien nicht in Sicht, Bardou war zur Lebensaufgabe geworden.
Bald kamen die ersten Gäste, um ihre Ferien im Haut Languedoc zu verbringen; manche blieben mehrere Monate, um bei den Arbeiten zu helfen: Dachstühle aufrichten, Fußböden verlegen, Fenster und Türen anpassen und einsetzen.
Die Mieteinnahmen dienten größtenteils zur Beschaffung von Baumaterialien. In jahrzehntelanger Arbeit wurden auf diese Weise alle Häuser des Ruinendorfs behutsam instand gesetzt, ohne dass die vorgefundenen dörflichen Strukturen zerstört wurden. Ganz „nebenbei“ zogen die Erhardts in Bardou noch drei Kinder groß, die sie anfangs selbst unterrichteten. Um ein eigenständiges wirtschaftliches Standbein zu haben, betrieb Klaus eine Schafzucht mit fast 200 Muttertieren, die er erst vor wenigen Jahren aus Altersgründen aufgab.
Auf alten Maultierpfaden lässt sich die Umgebung von Bardou erkunden, wie beispielsweise das nahe gelegene Héric, ein weiteres Minibergdorf. Von hier aus führt ein Weg zu einer der schönsten Schluchten des Haut Languedoc, den Gorges d’Héric. Zu beiden Seiten der steilen Schlucht erstreckt sich eine üppige Vegetation mit Buchen und Eichen, Botaniker können Kartäusernelken, Glockenblumen, Witwenblumen und Clematis entdecken.Wie Perlen auf einer Kette reihen sich die glasklaren, durch kleine Kaskaden miteinander verbundenen Wasserbecken des Héric aneinander.
Im Tal angekommen, kann man sich in Mons-la-Trivalle stärken. Mehr als ein einfaches Café-Restaurant und einen Tante-Emma-Laden wird man allerdings nicht vorfinden. Und die berühmten okzitanischen Kirschen wachsen am Wegesrand.
Große Komfortansprüche darf man auch in Bardou nicht haben. Die Häuser sind nach wie vor recht spartanisch eingerichtet: weiß gekalkte Wände, nur wenige Möbel, ein einfaches Bett, ein Tisch und Stühle, gekocht wird auf einem Gaskocher. Erst in den letzten Jahren verbesserte sich der Komfort durch ein paar entscheidende Details: Seit 1996 gibt es Strom und warme Gemeinschaftsduschen.
Informeller Treffpunkt ist der „Dorfplatz“, der aufgrund seiner geringen Größe zugleich als Terrasse des Erhardt’schen Hauses genutzt wird. Pfauen und Gänse streifen schnatternd und radschlagend durch die gepflasterten Gassen, kein Fernseher stört die Idylle. Der einzige „Lärm“, der die friedliche Stille durchbricht, kommt von den Proben eines Kammerorchesters, das sich seit Jahren hier im Sommer zusammenfindet. Klaus und Jean sind ausgesprochene Liebhaber der klassischen Musik und organisieren in den Sommermonaten Konzerte in den Kirchen der Umgebung. Der größte Stolz von Bardou ist ein Konzertflügel, der seit dem Frühjahr 2003 im Dorf steht.
Neben Musikern kommen auch Maler- und Theatergruppen – Klaus und Jean sind von dieser kulturellen Belebung ihres Dorfalltags begeistert: „Wir waren lange Weltreisende, jetzt laden wir die Welt zu uns ein.“
Anreise: Bardou liegt im Département Hérault, etwa 75 Kilometer westlich von Montpellier. Die Häuser für 2 Personen kosten je nach Ausstattung zwischen 16 und 28 € pro Nacht. Größere Häuser für 4 Personen kosten geringfügig mehr (40 €).Wichtiger Hinweis: Es gibt zwar in den meisten Häusern Stromstecker, allerdings verfügen sie über kein elektrisches Licht. Bettwäsche, Decken oder ein Campingschlafsack müssen ebenfalls mitgebracht werden. Adresse:Klaus und Jean Ehrhardt, Bardou, Mons-la-Trivalle, F-34390 Olargues, Tel. +33 46 79 77 24 3 Reiseführer:„Languedoc-Roussillon“, Michael-Müller-Verlag 2004