: Ein Ausweg für den Kanzler
Das Klausurtreffen von Kabinett und Koalitionsspitzen am Wochenende soll Aufbruchstimmung verbreiten. Aber Schwung und Visionen fehlen
aus Berlin MATTHIAS URBACH
Eigentlich läuft es schon wieder ganz gut für den Kanzler. Die Parteilinke ist ruhig gestellt, die Agenda 2010 auf dem Weg. Und nun zwingt Gerhard Schröder mit dem Vorziehen der Steuerreform auch noch die Union in eine große Kooperation wider Willen. Einzig seine Umfragewerte lassen noch zu wünschen übrig: Nicht einmal jeder Dritte gibt an, die SPD wieder wählen zu wollen. Um dem zu begegnen, mietete der Kanzler nun ein geschichtsträchtiges Schloss an. Dessen jüngst restaurierter Putz soll gleichsam die neue Frische der Regierungspolitik symbolisieren.
In Neuhardenberg wird ab heute Abend das Bundeskabinett in Klausur tagen, mitsamt dem grünen Parteichef Reinhard Bütikofer, dem SPD-Generalsekretär Olaf Scholz und den Fraktionsspitzen der Koalition. Offizielles Thema: Politik der Strategie für den Rest dieser Legislaturperiode „und darüber hinaus“.
Politiker aus SPD und Grünen geben sich Mühe, vorab zu betonen, dass es in Neuhardenberg zuerst um Forschung und Innovation, um Familie und Bildung gehen solle – und nicht nur um klamme Kassen. In Neuhardenberg soll eine neue Erfolgsstory beginnen, die offizielle Ankündigung des Vorziehens der dritten Stufe der Steuerreform von 2005 auf 2004 soll der erste mutige Schritt dazu sein.
Es gelang Schröder sogar, den Koalitionsstreit in NRW so weit zu beruhigen, dass die endgültige Entscheidung auf nächste Woche vertagt wurde. Der Kanzler schickte eigens Wolfgang Clement an den Rhein, um den Genossen Steinbrück zu bändigen.
Obwohl der Konvent von Neuhardenberg das Wahlvolk gewinnen soll, werden die Journalisten vom Tagungsort fern gehalten. Niemand soll in der Lobby lungern können. Vorsichtshalber wurden die Politiker gebeten, ihre Berater nicht mit in die Klausur zu nehmen – so bleibt eher Vertraulichkeit gewahrt. Die Journalisten müssen „am Gartenzaun warten“, wie sich das Bundespresseamt ausdrückt, ob ein Minister mal freiwillig zum Statement vorbeischaut.
Drinnen im Schloss wird derweil vermutlich gehauen und gestochen. Denn auch wenn Eichel gestern einen verfassungsgemäßen Haushalt vorlegte, birgt sein 251 Milliarden Euro umfassender Entwurf diverse Risiken. Dazu kommen die 15,3 Milliarden Euro Kosten für das Vorziehen der Steuerreform: Gut 7 bis 8 Milliarden Euro wird der Bund aufbringen müssen, den Rest die Länder. Das ist zwar weniger als ursprünglich veranschlagt, aber auch nur, weil sich die Konjunktur so schlecht entwickelt.
Es ist ja nicht so, dass der Kanzler die Steuerreform aus voller Überzeugung vorzieht. Vielmehr verschließt er eine offene Flanke gegenüber der Union: Dies gelang durch den überraschenden Coup tatsächlich. Plötzlich wurde für alle sichtbar, wie viel Konzept hinter der ständigen Forderung der Union nach Vorziehen steckte: nämlich keins. Nun suchen die Unions-Ministerpräsidenten selbst nach Milliarden.
Doch das Extraloch schnürt den Haushältern im Bund die Luft ab. „Wenn das Ziel ist, Innovation und Kinder zu fördern“, unkt der grüne Fraktionsvize Reinhard Loske, „und gleichzeitig weitere 8 Milliarden gespart werden, dann haben wir ein Problem.“ Die Grünen sind ohnehin sauer: Dort hält sich der Eindruck, während sie brav Sparvorschläge einreichten, hätten sich viele SPD-Minister glatt verweigert.
Die grüne Skepsis wird das Vorziehen jedoch nicht mehr aufhalten können. Die Sozialdemokraten bieten zudem eine simple Abhilfe an: „Man muss bereit sein, sich für das eine Jahr Vorziehen zu verschulden“, erklärt SPD-Fraktionschef Franz Müntefering. Genau das aber lehnen die Grünen ab, und sie wissen Eichel auf ihrer Seite.
Der Haushalt ist ohnehin, wie sich die Haushälter ausdrücken, „auf oberste Kante genäht“. Sprich: Optimistische Annahmen und fehlende Reserven bestimmen Eichels Papier. Das größte Risiko ist dabei die Agenda 2010. Schon das Jobaktiv-Gesetz brachte nicht die erhofften Entlastungen. Und schon für den Haushaltsentwurf konnte Sozialministerin Ulla Schmidt (SPD) nicht so viel wie von Eichel gewünscht einsparen, weil sie vermutlich 3 Milliarden Euro braucht, um den Rentenbeitragssatz stabil zu erhalten. Schließlich kommt ohne die Ökosteuer 2004 erstmals kein frisches Geld für die Rente herein.
Trotzdem hat sich die SPD-Führung vorgenommen, möglichst keinen weiteren Subventionsabbau mehr ins Gespräch zu bringen. Dort ist man durch die nörgelige Debatte über Mehrwertsteuerbefreiungen auf Schnittblumen offenbar traumatisiert. Wenn, dann sollen bitte schön die Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) und Peer Steinbrück (SPD) das heiße Eisen anfassen, bei ihrem angekündigten Subventionsabbau-Papier. Doch wer kann sich derzeit auf Steinbrück schon verlassen. Ausgerechnet der erklärte das Vorziehen der Steuerreform für zu teuer – nur einen Tag nachdem Edmund Stoiber (CSU) zum ersten Mal das Gegenteil erklärte.
Dieses Mal helfen auch keine UMTS-Milliarden, um hübsche Projekte für Forscher und Familien anzukündigen. Es wäre ein politisches Kunststück, in dieser Situation auch noch Schwung und neue Visionen zu verbreiten. Zu sehr mag in der Koalition derzeit ohnehin niemand in die Zukunft schauen. Joschka Fischer ist in der Innenpolitik kaum noch zu spüren. Er arbeitet längst an einem Karrieresprung nach Brüssel, verbreiten seine Kollegen.
Eigentlich läuft es schon wieder ganz gut für den Kanzler. Aber es sieht nicht so aus, als ob das lange so bleiben würde.