Berlin den Soul aufdrücken

50 Jahre Motown: Das schwarze Musiklabel feiert Jubiläum. Ausgerechnet ins wenig soulige Neukölln kam man zum Feiern – mit Tribute-Künstlern und bekannten Nummern. Die Show „Memories of Motown“ funktioniert die meiste Zeit über sogar

VON JENNI ZYLKA

Hier soll man sich also an Motown erinnern. An Beehives, an herzzerreißende Backgroundvocals, die „Baby love, my baby love“ stöhnen, an „Dancing in the Streets“, an silberne Kleider, gut sitzende Mod-Anzüge, Rassismen und ausgebeutete KünstlerInnen. Die Show „Memories of Motown“ will im 50. Jahr nach der Plattenfirmengründung in Detroit die Stars des ersten schwarzen Musiklabels ausgerechnet im „Hotel Estrel“ in Berlin-Neukölln auferstehen lassen.

Schließlich schlüpft man hier an der Sonnenallee seit über zehn Jahren auch ungeniert in die schultergepolsterten Bühnenoutfits von Michael Jackson, Elton John und Tina Turner: Eigentlich ist das „Hotel Estrel Convention Center“ mit seinen klebrigen Cocktailkirschen an den Drinks und den bezopften Angestellten in Pagenwesten so 80er, wie es nur geht. Doch der „Stars in Concert“-Produzent, der auch für die Motown-Revue verantwortlich ist, möchte den Gästen eben ein wenig Soul aufdrücken.

So ist nun die Konzertbühne im Keller maßvoll mit Sternen geschmückt, eine junge Dame im Glitzerkleid führt vor gut gefülltem Saal durch den Abend und die Gespräche mit zwei Original-Mitarbeitern: dem Motown-PR-Mann Al Abrams und dem Songwriter und ehemaligen Leiter der A & R-Abteilung William „Mickey“ Stevenson, zwei distinguierte Silberfüchse in Schwarz und Weiß. Die beiden erzählen zwischen den Musiknummern harmlose Anekdoten über den furiosen Exprofiboxer und Labelgründer Berry Gordy Jr., plaudern über ihre eigenen Rollen in der Erfolgsgeschichte, über die Entdeckung von Martha Reeves und Marvin Gaye. Die eine wird später noch persönlich auftreten, der andere ist längst tot und wird von einem Double dargestellt.

Hier liegt auch das Geheimnis, das „Memories of Motown“ funktionieren lässt, trotz der cheesy Umgebung, trotz der Hitparadenpublikumsstimmung und der Unterschlagung sämtlicher, eigentlich elementarer Untertöne im Inhalt (Rassismus, Drogen, Sexismus, Unterbezahlung und Bankrott sind eben keine Themen für eine Abendshow): Nervte bei „Stars in Concert“ vor allem die musikalische Auswahl – wer guckt schon freiwillig Elton John? – und die wie bei allen übrigen Doppelgängerveranstaltungen wie etwa Beatles-Imitatoren dumme Vorstellung, irgendwelche Torfnasen könnten Genialität und Look der bildlich sattsam bekannten Originale auch nur ansatzweise wiedergeben, so läuft bei den Motown-Erinnerungen alles rund. Die weiße, im Riesenschatten der Motown-Band The Funk Brothers frierende Begleitband gibt sich beim Grooven immerhin Mühe, und wer außer Hardcore-Fans weiß schon, wie Smokey Robinson und seine Miracles in Wirklichkeit aussahen?

Als also die vier hübschen Doppelgänger in Anzügen die Bühne betreten, um mit „Before you ask some girl for her hand now / keep your freedom for as long as you can now / my Mama told me: You better shop around“ einen der entzückendsten frühen Motown-Hits anzustimmen, ist das ganz bezaubernd und klingt so echt, wie es in Neukölln möglich ist. Auf zwei großen Leinwänden kann man den Echtheitsgrad ohnehin ständig überprüfen, denn dort laufen schwarzweiße Originalvideos – sowohl beim Styling als auch in den wunderbaren Schritt- und Handbewegungschoreografien strengen sich die Imitatoren richtig an. Auch der Jacki-Wilson-Impersonator rollt das „R“ des von Berry Gordy geschriebenen Hits „Reet Petite“ mindestens so feurig wie das Original, und die Diana-Ross-„Tribute-Künstlerin“ (so nennen sich DoppelgängerInnen euphemistisch selbst) behauptet genau in dem silberhellen, merkwürdig soulfreien und discoaffinen Timbre „Ain’t no mountain high enough“ wie Diana Ross, lächelt sogar fast genauso traurig-irre wie das latent magersüchtig wirkende Original.

Das Marvin-Gaye-Double kann in Stimme und Ausstrahlung gegen den maßlos talentierten und charismatischen echten Gaye allerdings nicht anstinken, doch das machen die tollen Contours, von denen einer tatsächlich ein Original aus den 60ern ist, mit unter anderem „Do you love me?“ und dem schlitzohrigen „First you look at the purse“ wieder wett. Ein bisschen traurig wird die Show erstaunlicherweise erst, als die echte, 68-jährige Martha Reeves in einer beeindruckenden blutroten Holiday-on-Ice-geplatztes-Sofakissen-Robe die Bühne betritt und mit dem Druck einer asthmatischen 100-Jährigen versucht, „Heat Wave“ zu singen. Vielleicht hätte man die ehemalige Martha-and-the-Vandellas-Frontfrau, die seit Ende der 60er mit massiven Drogen- und Persönlichkeitsproblemen zu kämpfen hatte, lieber auch doubeln sollen? Aber wenn sie doch noch lebt …

Die zwischendurch hin und wieder angestimmten Motown-Credits-Mitmach-Stimmungsongs à la „That motown music makes you clap your hands“ lassen sich hervorragend für Toilettenpausen nutzen, und wem jetzt tatsächlich die Kritik, die Probleme, die Politik im Stück fehlen, der soll sich nur mal eine Las-Vegas-Show angucken: That’s entertainment! Nicht mehr, nicht weniger.

Sonnenallee 225, noch bis zum 1. 2. tgl.; Ticket-Hotline: 68 31 68 21