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Archiv-Artikel

Den Toten Ehre erweisen

In Ghana hört eine Wahrheitskommission nach südafrikanischem Vorbild die Opfer von Verbrechen vergangener Militärregime an. Aber vor einer juristischen Vergangenheitsbewältigung schreckt das Land zurück – Versöhnung soll erreicht werden

Die Verantwortlichen werden eines Tages Rechenschaftablegen müssen

aus Accra LISA RÜTER

Frau Apeahs Söhne dienten 1983 beim Militär, als der eine, Kojo, festgenommen wurde. Er bat den anderen, Obeng, ihm Essen ins Gefängnis zu bringen. Als Obeng dies tat, wurde auch er festgenommen. Die Mutter erzählt, dass Obengs Gesicht geschwollen war, als sie ihn schließlich besuchte. Ein Soldat fragte sie, was sie dort wolle, schlug sie mit dem Gewehr nieder und trat sie. Ein zweiter Soldat schlug sie ebenfalls. Sie sagten, sie solle aufstehen und gehen, sonst würde sie erschossen. Als sie zum Tor kam, hieß es, sie solle rennen. Später ging ihr Mann Obeng besuchen. Als er zurückkam, erzählte er, der Sohn sei so stark geschlagen worden, dass er ihn nur an seiner Stimme erkannt habe. Sie selbst hat ihre Söhne nie wiedergesehen. Im Radio hörte sie später, dass Kojo hingerichtet wurde.

Frau Apeah fließen Tränen über die Wangen, als sie vor Ghanas „Kommission für Nationale Versöhnung“ ihre Geschichte erzählt. Etwa 200 Menschen hören zu. Ghana hat seit der Unabhängigkeit 1957 vier Militärregime durchlebt. Nachdem im Januar 2001 zum ersten Mal ein friedlicher Regierungswechsel stattgefunden hat, wird die Vergangenheit Gegenstand von Kritik. Untersucht werden nur Menschenrechtsverletzungen, die von Vertretern staatlicher Organe begangen wurden. Seit Januar 2003 tagte die vom Präsidenten eingesetzte Kommission dreimal in der Woche öffentlich im Old Parliament House in Accra; letzte Woche zog sie in die Provinzstadt Tamale, wo die Anhörungen gestern zu Ende gehen sollten. Die Sitzungen wurden im Fernsehen übertragen und in den Zeitungen besprochen.

Ein Kommissionsmitglied fragt Frau Apeah, ob im Radio Gründe für die Hinrichtung ihres Sohnes genannt wurden. „Er hat angeblich mit anderen zusammen einen Putsch geplant“, berichtet sie. Über den anderen Sohn, Obeng, erfuhr sie nichts. Die Kommission hält fest, dass ihre Söhne nicht vor Gericht gestellt wurden.

Die Wahrheit der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, das Hinsehen und Zuhören, sind die Aufgaben der Kommission. Die Betroffenen dürfen reden, und sie sollen Mitgefühl erfahren. „Wir hoffen, dass die Zeit, in der ein Menschenleben nichts bedeutet, vorbei ist“, sagt ein Kommissionsmitglied. „Ich hoffe, dass wir als Ghanaer vorankommen und uns von den Prinzipien der Religion leiten lassen.“

Frau Apeah rät man, an ihrem Glauben festzuhalten und ihre Söhne angemessen zu beerdigen. Der Bischof der Kommission meint: „Jetzt kannst du endlich eine kleine Begräbnisfeier haben. Wir glauben, dass dies sehr wichtig ist. Dann kannst du die Vergangenheit ruhen lassen und mit deinem Leben fortfahren.“ Beerdigungen haben einen hohen Stellenwert. Den Toten Ehre zu erweisen ist seit jeher ein Gebot für die Lebenden.

Will auch die Kommission die Vergangenheit rituell verabschieden? Der juristischen Aufarbeitung sind in Ghana Steine in den Weg gelegt: Bei der Aushandlung der geltenden demokratischen Verfassung 1992 wurde allen, die zur Zeit der Militärregime Menschenrechtsverletzungen begangen haben, Amnestie gewährt. Dies war ein Zugeständnis, um den Übergang in ein parlamentarisches System nicht zu gefährden. Die Kommission sagt zu Frau Apeah: „Die Verantwortlichen werden eines Tages Rechenschaft über ihre Verbrechen ablegen müssen, wie dein Ehemann dir gesagt hat. Eines Tages, selbst wenn sie bereits tot sind.“

Versöhnung will die Kommission auf emotionaler und psychischer Ebene leisten. Wiedergutmachung überschreitet ihre Kompetenzen, da sie lediglich Ratschläge an den Präsidenten erteilen kann. In ihren Anhörungen besitzt die Kommission Machtbefugnisse wie ein Gericht, ist aber allein für Wahrheitsfindung zuständig; Strafen können nicht verhängt werden. Äußerungen von Tätern vor der Kommission dürfen später nicht straf- oder zivilrechtlich gegen sie verwendet werden.

Ob sie noch etwas sagen will, wird Frau Apeah gefragt. Sie erzählt, ihre Mutter habe einen Schock erlitten und sei gestorben, ihr Mann später ebenfalls. Nun würden sich ihre überlebenden Kinder um sie kümmern, aber die Medizin, die sie benötige, sei teuer. „Wenn die Kommission nicht existieren würde, hätte niemals jemand von unserem Schicksal erfahren. Ich danke Ihnen.“ Die Kommission und die Zuschauer schweigen.